Nelly Toll : „Ich malte in der Hoffnung auf eine bessere Welt“

Die Jüdin überlebte die Nazi-Zeit als Kind in einem Versteck

Nelly Toll: „Ich malte in der Hoffnung auf eine bessere Welt“

Nelly Toll am Holocaust-Mahnmal in Berlin. Sie lebt in Philadelphia (USA), ist dort Kunst-Professorin

Foto: Wolf Lux
Von: Von HANNES RAVIC und NELE WÜRZBACH

Die Bilder der acht Jahre alten Nelly zeigen eine unbeschwerte Kindheit. Das Idyll war Fantasie. In Wahrheit lebte sie fast zwei Jahre in einem Zimmer versteckt. Versteckt vor den Nazis.

Dr. Nelly Toll, geboren in Lemberg (heute Lwiw, Ukraine), ist die letzte noch lebende Künstlerin, deren Werke bei der großen Ausstellung KUNST AUS DEM HOLOCAUST in Berlin gezeigt werden. Nach dem Krieg emigrierte sie nach Amerika.

BILD traf sie zum Interview.

BILD: Frau Toll, was passierte, als die Wehrmacht Lemberg 1941 besetzte?

Nelly Toll: „Als die Deutschen in die Stadt kamen, waren viele Menschen sehr froh. Viele dachten, die Deutschen seien zivilisierter als die Russen. Mein Vater versteckte sich damals vor den Russen. Er hatte Angst, sie würden ihn nach Sibirien schicken.“

Sie hatten also keine Ahnung, was passieren würde?

Toll: „Nein, unser einziges Verbrechen war ja, dass wir jüdisch waren. Wir hatten zwar Angehörige in Wien, die andeuteten, was vor sich ging, aber keiner glaubte ihnen. Deutschland war eine zivilisierte Nation, warum sollten sie so schrecklich sein?“

Wann haben Ihre Eltern entschieden, sich zu verstecken?

Toll: „Das war 1942/43. Erst wurden alle Juden zusammengetrieben, dann mussten sie alle in ein Ghetto. Danach sahen wir die Abtransporte, Kinder verschwanden. Niemand konnte es so richtig verstehen. Mein Vater beschloss also, ein Versteck für mich und meine Mutter zu finden. Er brachte uns zu einem Haus, das ihm gehörte. Wir teilten uns ein 20 qm großes Zimmer mit einem Bett, bei einer christlichen Familie, die ihr Leben riskierte, um uns zu schützen. Vor dem Krieg hatte mein Vater sie dort umsonst wohnen lassen, weil sie sich die Miete nicht leisten konnten.“

Wie war es für ein Kind, nie rauszudürfen?

Toll: „Ich wollte natürlich nach draußen, aber meine Mutter sagte, es sei sehr gefährlich und dass wir immer in der Wohnung bleiben müssen. Sie gab mir Papier, Pinsel und Wasserfarben. Dadurch konnte sie mich die meiste Zeit beschäftigen.“

Was bedeutete die Kunst für Sie?

Toll: „Die Zeichnungen nahmen mich mit in eine wundervolle neue Welt und ich glaubte an sie. Ich malte in der Hoffnung auf bessere Menschen und eine bessere Welt.“

Was vermissten Sie am meisten während dieser schlimmen Zeit?

Toll: „Meinen Vater. Er konnte seine Eltern und seine Schwester nicht im Ghetto zurücklassen, wollte nachkommen, sobald alle in Sicherheit waren. Oft stand ich vor dem Fenster, immer so, dass mich keiner von der Straße aus sehen konnte, und wartete. Er kam zwei Mal.“

Was passierte mit Ihrem Vater?

Toll: „Ich weiß es nicht genau, aber er kehrte nie zurück. Das war ein großer Verlust. Ich wartete bis zur Befreiung – immer in der Hoffnung, er habe sich auch versteckt und würde zurückkommen.“

Wie wurden Sie befreit?

Toll: „Von den Russen. Ich sah ihre Panzer aus dem Fernster und rannte, ohne auf meine Mutter zu hören, raus. Die Russen hoben mich hoch und setzten mich oben auf ihren Panzer, dann gaben sie mir so viel Schokolade, wie ich wollte.“

Wie wichtig ist es für sie, dass die Ausstellung nun in Berlin zu sehen ist?

Toll: „Ich hoffe, dass diese Ausstellung die jüngeren Generationen beeinflusst und ihnen die ganze Brutalität des Hitler-Regimes zeigt. Es ist wichtig, dass sie in Berlin gezeigt wird, denn Berlin steht für Deutschland.“

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