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„Einen Schlussstrich kann es niemals geben“

Israels Botschafter Yakov Hadas-Handelsman Israels Botschafter Yakov Hadas-Handelsman
Israels Botschafter Yakov Hadas-Handelsman
Quelle: Amin Akhtar
Die Mehrheit junger Menschen wünscht sich einen Schlussstrich unter das, was ihre Vorfahren getan haben. Einen solchen Schlussstrich kann es für den israelischen Botschafter niemals geben, schreibt er in einem Gastbeitrag.

Es fiel mir nicht sofort auf, aber etwas war anders. Vor wenigen Wochen besuchte ich Freunde in den USA und lief durch den jüdischen Teil von Cambridge bei Boston. Vorbei an Synagogen, Delis mit Davidstern, Männern mit Kippa und an der koscheren Filiale einer bekannten Donuts-Kette.

Dann merkte ich es. Nirgends standen Wachposten. Ich sah auch keine Sicherheitszäune. Was hier selbstverständlich ist, wäre in Deutschland undenkbar: öffentliches jüdisches Leben, völlig ungeschützt.

Als „Geschenk“ hat es Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnet, dass es 70 Jahre nach der Schoah wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt. Sie hat mehrfach versichert, alles für die Sicherheit der Juden zu tun, dass für Antisemitismus kein Platz ist. Dass dies nötig ist, sei trotzdem eine Schande, sagte Merkel.

Für Deutschland ist Judenhass besonders beschämend. Viele behaupten nun, es seien fast nur Einwanderer aus muslimischen Ländern, die Antisemitismus mitbringen. Ein Vorwurf, der für manche allzu willkommener Anlass ist, gegen Flüchtlinge zu hetzen. Dabei erinnere ich viele Fälle von Antisemitismus in Deutschland, lange vor Ankunft der Flüchtlinge. Ich sage ganz klar: Wer gegen Muslime hetzt, wird das früher oder später auch gegen Juden tun. Umgekehrt gilt das auch für Muslime, die gegen Juden hetzen: Sie vergessen, dass sie schnell selbst Opfer von Ausgrenzung werden können.

Antisemitismus ist ein Problem nicht nur für Juden. Deutschland würde heute nicht für Freiheit und Demokratie stehen, wenn es seiner Vergangenheit nicht in die Augen geschaut und die nötigen Konsequenzen gezogen hätte. Diese Werte sind bedroht. Alle Mitglieder der Gesellschaft, ob hier geboren oder in sie eingewandert, müssen zu ihrer Verteidigung aufstehen. In ihrem eigenen Interesse.

Natürlich: Der Umgang der Deutschen mit der Vergangenheit ändert sich mit den Generationen.

"Nie wieder Judenhass!" - Demonstration am Brandenburger Tor in Berlin # Berlin Mehrere tausend Menschen haben sich am Sonntagnachmittag am Brandenburger Tor in Berlin versammelt, um gegen Judenhass in Deutschland und Europa zu protestieren. Initiiert wurde die Demonstration unter dem Motto äSteh auf! Nie wieder Judenhass!“ vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Foto: Kai-Uwe Heinrich | Verwendung weltweit
Immer wieder versammeln sich Demonstranten auch am Brandenburger Tor in Berlin, um gegen Judenhass in Deutschland und Europa zu protestieren
Quelle: picture-alliance

1985 war ich erstmals in Deutschland. Wir schoben meinen wenige Wochen alten Sohn im Kinderwagen um einen See nahe München. Alle paar Meter schauten freundliche, ältere Damen in den Kinderwagen, sie betütelten unseren Jungen. Als sie erfuhren, dass wir Israelis sind, erzählten fast alle die gleiche Geschichte: Sie selbst, ihre Eltern oder Verwandte hätten Juden vor den Nazis gerettet, wahlweise wurden sie im Keller oder auf dem Dachboden versteckt.

Nichts gegen diese Damen am See. Aber irgendwas stimmte da nicht. Hätte nur die Hälfte der Zahl der „geretteten Juden“ gestimmt, es wären zwischen 1933 und 1945 kaum welche ermordet worden.

Heute, mehr als 30 Jahre später, formuliert die Mehrheit der jungen Menschen dagegen offen den Wunsch nach einem Schlussstrich. Das ist menschlich. Natürlich kann es einen solchen Schlussstrich niemals geben. Erinnerung und Verantwortung sind keine Strafe, sondern ein Auftrag. Aber es gibt viel Unausgesprochenes: In persönlichen Begegnungen habe ich in Deutschland so gut wie nie Antisemitismus erlebt.

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Aber Antisemitismus ist heute umso mehr als vermeintliche Kritik an Israel verbreitet. Hassbriefe, die Israel klar das Existenzrecht absprechen, bekomme ich in der Botschaft fast täglich. Laut einer aktuellen Studie stimmten 40 Prozent der Befragten diesem Satz ganz oder teilweise zu: „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“

Diese Aussage ist Antisemitismus in reiner Form. Sie erinnert an den Fall der Jugendlichen, die während des Gaza-Krieges 2014 Brandsätze auf eine Synagoge in Wuppertal warfen. Das Gericht akzeptierte im Urteil den Einwand der Verteidigung: Motiv sei nicht Antisemitismus gewesen, sondern Protest gegen Israels Politik. Wirklich? Ich dachte, Staat und Religion seien in Deutschland schon lange getrennt.

Judenhass sollte es im 21. Jahrhundert nicht mehr geben. Aber wenn sich Juden heute unsicher fühlen, dann haben sie immerhin ein Land, wo sie immer willkommen sind.

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