Im KZ musste ich um mein Leben tanzen: Der Clown von Majdanek

Die große BILD-Reportage in deutscher, englischer und hebräischer Sprache

Quelle: BILD / Hannes Ravic
Von: Von HANNES RAVIC

Lublin (Polen) – Hana Rosbruch ist heute 86 Jahre alt. Es ist Sommer, 22°C, die Sonne scheint, dicke Butterblumen blühen vor den schwarzen Baracken. Sie ist in der KZ Gedenkstätte Majdanek, dem Ort wo die Nazis ihre Geschwister und Tausende unschuldige Menschen ermordet haben. Hana Rosbruch will Abschied nehmen. Und dann kommen die Erinnerungen wieder hoch.

„Es ist ein Wintertag im Jahr 1941. Seit fast einem Jahr leben wir im Ghetto. Dann kommen die Nazis und treiben alle Bewohner zusammen. Auch mich und meine beiden kleinen Geschwister, Haim und Hela. Unsere Eltern haben sie schon zum Arbeitsdienst abgeholt. Wir drei Kinder sind allein, auf uns gestellt.“

Die Ankunft im KZ

Das KZ Majdanek: Hana Rosbruch war hier zwei Jahre gefangen

Das KZ Majdanek: Hana Rosbruch war hier zwei Jahre gefangen

„Ich bin acht Jahre alt. Stundenlang schleppen wir uns durch den hüfthohen Schnee. Zehn Kilometer durch die eisige Kälte. Immer Richtung Osten.

Rechts und links halte ich je eines meiner Geschwister an der Hand. Nur nicht los lassen. Hunderte laufen mit uns. Niemand hilft oder kümmert sich um uns Kinder.

Dann stehen wir an diesem Tor. Vor mir steht ein deutscher Soldat mit einem Wachhund. Er reißt meine Geschwister weg. Ich falle auf die Knie, fange an zu weinen und flehe: ‚Bitte lassen Sie Haim und Hela bei mir, wir haben doch schon keine Eltern‘. 

Aber der Deutsche lacht nur. Wenig später erfahre ich, dass meine Geschwister noch am selben Tag vergast und verbrannt wurden.“

Die Auftritte als Clown

Hana Rosbruch hält eine Clownsfigur in den Händen. Ein Symbol für die Erniedrigungen und Qualen, die sie in dem Vernichtungslager erleiden musste

Hana Rosbruch hält eine Clownsfigur in den Händen. Ein Symbol für die Erniedrigungen und Qualen, die sie in dem Vernichtungslager erleiden musste

Foto: Hannes Ravic

„Weil ich Deutsch spreche und schön singen und tanzen kann werde ich vom Latrinen-Dienst abkommandiert und muss in einem Kostüm als Clown für die Wachen des Konzentrationslagers auftreten.

Jeden Abend laufe ich ins Kasino. Hier lassen es sich die Nazi-Schergen gut gehen. Essen, trinken und feiern nach dem täglichen Morden.

Jahrzehnte nach der Befreiung töpfert Hana Rosbruch diesen Clown. Er stellt sie dar, wie sie als kleines Mädchen für die Wachen des KZ tanzen und singen musste

Jahrzehnte nach der Befreiung töpfert Hana Rosbruch diesen Clown. Er stellt sie dar, wie sie als kleines Mädchen für die Wachen des KZ tanzen und singen musste

Foto: Hannes Ravic

Sie zwingen mich auf den Tisch zu steigen. Ich singe für sie das Horst Wessel-Lied und polnische Liebeslieder. Ausgerechnet für die Männer, die meine Geschwister ermordet haben.

Das Krematorium im Konzentrationslager Majdanek. Hier wurden Hana Rosbruchs Geschwister Haim und Hela verbrannt

Das Krematorium im Konzentrationslager Majdanek. Hier wurden Hana Rosbruchs Geschwister Haim und Hela verbrannt

Nachts schleiche ich müde und erschöpft zurück in den Block 12. Mit hunderten anderen jüdischen Frauen bin ich dort eingepfercht.“

Vom SS-Mann niedergeschlagen

„Eines Abends verprügelt mich ein besoffener Offizier. Ich knalle auf den Boden, bin ohnmächtig. Jemand schleppt mich zurück in die Baracke und deckt meine Wunde notdürftig mit Lappen zu.

Verlauste Strohsäcke – das Lager der achtjährigen Hana Rosbruch. Mit hunderten Mitgefangenen war sie eingepfercht in die Baracken des KZ Majdanek

Verlauste Strohsäcke – das Lager der achtjährigen Hana Rosbruch. Mit hunderten Mitgefangenen war sie eingepfercht in die Baracken des KZ Majdanek

Foto: Hannes Ravic

Am nächsten Tag muss ich wieder mit den Nazis tanzen und singen. Wer nicht arbeitet wird sofort vergast. Krankheit ist der Tod.

Erst nach dem Krieg, Jahre später lasse ich mich richtig behandeln. Dabei kommt raus: Mein Schädel war gebrochen.

Das Schlimmste im KZ ist die Einsamkeit. Meine Eltern nicht da. Meine Geschwister vergast. Ich denke, ich werde nie wieder frei sein. Aber ich will überleben, ich will später allen meine Geschichte erzählen.“

Dreharbeiten zum Film. In der Baracke kommen Hana Rosbruch die schrecklichen Erinnerungen an ihre Zeit im Konzentrationslager zurück

Dreharbeiten zum Film. In der Baracke kommen Hana Rosbruch die schrecklichen Erinnerungen an ihre Zeit im Konzentrationslager zurück

Foto: Hannes Ravic

Der Tag der Flucht

„Der ehemalige Kompagnon meines Vaters, Ben, kommt regelmäßig ins Lager. Er hat die Lizenz die Fäkalien aus den Latrinen abzupumpen und damit die umliegenden Felder zu düngen. Ein Strohmann des polnischen Widerstands sagt mir, dass ich nachts zu den Latrinen kommen soll.

Nach Einbruch der Dunkelheit ist es Häftlingen nicht gestattet die Baracken zu verlassen. Doch ich schleiche zu den Aborten, hocke mich in den Schatten einer Hütte und warte.

Baracke reiht sich an Baracke. Das Konzentrationslager Majdanek von oben

Baracke reiht sich an Baracke. Das Konzentrationslager Majdanek von oben

Plötzlich höre ich Pferde und ein Fuhrwerk. Jemand ruft leise meinen Namen. Hana? Bist du da?“

Ben hat ein Holzfass mit einem doppelten Boden versehen, darin kann ich mich verstecken.

71 Jahre nach der Befreiung ist Hana Rosbruch zum letzten Mal in Majdanek

71 Jahre nach der Befreiung ist Hana Rosbruch zum letzten Mal in Majdanek

Foto: Hannes Ravic

Ben deckt mich zu und füllt das Fass mit Exkrementen.

Der Gestank entsetzlich. Der Deckel war nicht ganz dicht, Fäkalien tropfen auf mich herunter. Aber in der Außenwand ist ein kleines Loch. Ich presse meine Nase daran. So bekomme ich Luft.

Am Tor schreit der Posten HALT! Weil aber die Fuhre so erbärmlich stinkt, kontrolliert niemand besonders sorgfältig. Sogar die Wachhunde wittern mich wegen des Gestanks nicht.

Endlich frei

18 Monate verstecke ich mich im Keller einer Bäuerin. Dann befreit mich die Russen.“

Hana Rosbruch vor dem jüdischen Krankenhaus in Lublin. Nach der Befreiung aus dem Keller eines Bauernhofes brachte die Rote Armee sie dort hin

Hana Rosbruch vor dem jüdischen Krankenhaus in Lublin. Nach der Befreiung aus dem Keller eines Bauernhofes brachte die Rote Armee sie dort hin

Foto: Hannes Ravic

Am 23. Juli 1944 befreit die Rote Armee das KZ Majdanek. Hana Rosbruch findet ihre Eltern wieder. Im Herbst 1944 flieht die Familie mit falschen Pässen in die Tschechoslowakei, dann nach Österreich und Italien. 1948 kommt sie schließlich nach Haifa, Palästina. Heute lebt Hana Rosbruch bei Tel Aviv. Hat zwei Söhne, fünf Enkel und sechs Urenkel.

BILD-Reporter Hannes Ravic hat Hana Rosbruch bei ihrem letzten Besuch in Polen im Mai 2015 mit der Kamera begleitet. Der dabei entstandene Dokumentarfilm „Der Clown von Majdanek“ läuft auf BILD.de und erscheint auf Deutsch, Englisch und Hebräisch.

In ihrer Wohnung bei Tel Aviv (Israel) erzählt Hana Rosbruch dem BILD-Reporter Hannes Ravic ihr Schicksal. Im Regal an der Wand steht ihre Clownsfigur

In ihrer Wohnung bei Tel Aviv (Israel) erzählt Hana Rosbruch dem BILD-Reporter Hannes Ravic ihr Schicksal. Im Regal an der Wand steht ihre Clownsfigur

Foto: Hannes Ravic

Mitarbeit: Nico Drimecker

Der Film auf Englisch

The Clown of MajdanekIn the concentration camp, I had to dance for my life

Quelle: BILD / HANNES RAVIC

Der Film auf Hebräisch

הליצן ממיידאנקבמחנה הריכוז הייתי צריכה לרקוד בשביל לחיות

Quelle: BILD / HANNES RAVIC

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