WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. PS WELT
  3. Radar und Laser: Autonomes Fahren für 100 Euro

PS WELT Radar und Laser

Autonomes Fahren für 100 Euro

Eine israelische Hightech-Firma geht mit autonomen Fahrtassistenten schon jetzt in Serienproduktion – für einen Bruchteil der Kosten. Der Traum vom voll automatisierten Auto rückt in greifbare Nähe.

Dieses System macht autonome Autos erschwinglich

150.000 Euro kostet der autonom fahrende Prototyp von Google. Doch die israelische Firma Mobileye zeigt, dass es anders geht: Mit ihrem System kann bald jeder das Lenken seinem Auto überlassen.

Quelle: Die Welt

Wer kennt diesen Wunsch auf der morgendlichen Autofahrt zur Arbeit nicht? Nur ein paar Minuten mehr Zeit, um sich zu rasieren, die Zeitung zu lesen, eine E-Mail zu schreiben oder die Augen einfach nur für ein kleines Nickerchen zu schließen.

In den Bergen Judäas wird dieser fromme Wunsch in diesen Tagen Wirklichkeit. Seit Monaten testet man hier in einem Audi A8 einen Prototyp für autonomes Fahren der israelischen Firma Mobileye. Auf einer exklusiven Testfahrt für die „Welt“ nimmt der hauseigene Fahrer stolz und locker die Hände vom Steuer und hebt seine Füße in die Luft.

Wie von Geisterhand gesteuert, übernimmt der Autopilot die Kontrolle: Völlig automatisch gibt er Gas, bremst kurz ab, als ein anderer Fahrer den Wagen in einem waghalsigen Überholmanöver schneidet. Auf den Serpentinen der Bergautobahn hält der Computer sicher Abstand und Spur, stoppt den Wagen an einer roten Ampel und gibt Gas, sobald wieder grün ist.

Erstes selbstfahrendes Auto durchquert USA

Das selbstfahrende Auto der Zukunft fährt bisher nur auf kurzen Strecken. Eine Testfahrt quer durch die USA soll beweisen, dass die Zukunft vielleicht gar nicht mehr so weit entfernt ist.

Quelle: N24

Schon im Juni wird dieser elektronische Assistent bei einem Fahrzeughersteller in Serie gehen, um auf der Autobahn die wichtigsten Aufgaben eines Fahrers zu übernehmen. Ab Dezember geht ein noch fortschrittlicheres System in Serie, das bei Geschwindigkeiten von bis zu 120 km/h die Kontrolle übernehmen kann. Und all das zu einem durchaus erschwinglichen Preis: „Unser System wird den Autohersteller zwischen 100 und 400 Euro kosten“, sagt Ziv Aviram, Mitgründer, Präsident und Geschäftsführer von Mobileye.

Ganz einfach – wie beim Menschen

Nur zum Vergleich: Die Geräte in den Prototypen des autonomen Fahrzeugs von Google kosten heute etwa 150.000 Euro. Im Gegensatz zu den Amerikanern rückt die israelische Firma den Traum vom freihändigen Autofahren tatsächlich in absehbare und bezahlbare Nähe. Denn Mobileye setzt in erster Linie auf Vereinfachung. „Als andere Firmen vor Jahren begannen, über assistiertes Bremsen und autonomes Fahren nachzudenken, entwickelten sie komplexe Systeme“, sagt Aviram.

Sie setzten Laser oder Radars ein, um die genaue Entfernung von Objekten zu ermitteln. Andere installierten mindestens zwei Kameras, um durch Triangulation den Abstand zu anderen Objekten zu berechnen. Nicht so Mobileye: „Fakt ist, dass Menschen weder Radar noch Laser besitzen und dennoch gut Auto fahren. Und wir brauchen auch keine zwei Augen: Eines genügt, um unfallfrei durch den Verkehr zu kommen.“

Deswegen setzte Mobileye von Anfang an auch nur auf eine einzelne Kamera, gekoppelt mit schlauer Software. Das hat mehrere Vorteile: „Kameras sind billig, klein und überall zu haben“, sagt Aviram. Und Kameras können mehr als Radargeräte. „Wir wollen nicht Abstände messen, sondern die gesamte Umgebung verstehen, so wie ein Fahrer“, sagt Aviram. Und so kann das System nicht nur helfen, Unfälle zu vermeiden, sondern auch Ampeln, Straßenspuren und Baustellen erkennen, ja sogar Verkehrsschilder lesen.

Millionen Kilometer Fahrtstrecke analysiert

Doch dafür muss man ihm erst einmal beibringen, wie man die unzähligen Objekte erkennt, die den Straßenrand säumen oder sich mitten auf der Fahrbahn befinden. Seit Jahren beschäftigt Mobileye eigens dafür 400 Angestellte in Sri Lanka, die Tausende Stunden von Videoaufnahmen gewöhnlicher Autofahrten Bild für Bild analysieren, jeden Gegenstand mit einem Kästchen umrahmen und für die Software definieren.

Mehrere Millionen Kilometer Fahrtstrecke in aller Welt befinden sich inzwischen in der Datenbank. So kann das System fast jedes erdenkliche Objekt in verschiedenen Kontexten identifizieren. Egal ob baumbestandene Alleen im Sonnenuntergang, deren Schatten eine Fahrbahn voller vermeintlicher Zebrastreifen erzeugen, zugeschneite Straßen oder Autobahnbaustellen – alles hat der Computer schon einmal gesehen. Genau wie ein Mensch.

Anzeige

Ähnlich verhält es sich auch mit der Navigation im Straßenverkehr. Statt wie Radar oder Laser die Entfernung zu anderen Objekten zu messen, berechnet der neuste Chip EYEQ3 mithilfe der Kamera, wie schnell sich die Größe von Objekten auf der Netzhaut verändert. „Das ist auch der Mechanismus, den das menschliche Hirn zumeist einsetzt“, sagt Aviram. Mit diesen Daten wird die Zeit bis zum drohenden Zusammenstoß kalkuliert, und es werden entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet.

Die Evolution vom Bremsen zum Fahren

Bislang war das nur ein Warnton, der Fahrer auf bevorstehende Unfälle aufmerksam machte. Mobileyes Systeme für assistiertes Bremsen kontrollieren laut eigenen Angaben weltweit rund 90 Prozent des Marktes. Doch die insgesamt 600 Angestellten im Hauptquartier in Jerusalem geben sich damit nicht mehr zufrieden: Sie entwickeln das autonome Fahrzeug, zumindest allmählich.

„Google will alles auf einmal, das ist ein gewaltiger Schritt“, sagt Aviram. Mobileye setzt hingegen auf schrittweise Entwicklung. Nachdem es mit dem Stauassistenten das autonome Fahren bei niedrigen Geschwindigkeiten gemeistert hat, begrenzt das GPS die autonome Fahrt vorerst ausschließlich auf die Autobahn – und nur auf einer Spur. „Spurenwechsel sind heikel“, sagt Aviram. Um die zu ermöglichen, genügt die eine Kamera nicht mehr.

Deswegen entwickelt die Firma ein System mit drei Kameras, die an vier Radare gekoppelt sind. Dieses System wird schon 2016 Spurwechsel selbstständig vollziehen und das Auto in Notfällen am Straßenrand zum Stillstand bringen können. Ein Jahr darauf soll das System auch für Fahrten auf Landstraßen serienreif sein, zwei Jahre später dann endlich für Fahrten in der Stadt. Insgesamt, so schätzt Aviram, werden Fahrzeuge schon in sechs Jahren „Passagiere völlig autonom von A nach B bringen können“.

Kein Autopilot

Ganz ohne Führerschein wird es aber selbst dann noch nicht gehen. Im Durchschnitt trifft die Software einmal alle 400.000 Kilometer auf eine unbekannte Situation und übergibt dann dem Fahrer die Kontrolle.

Einen Zustand wie im Flugzeug, wo der Pilot auf Autopilot stellen und schlafen gehen kann, sieht Aviram auch aus anderen Gründen noch nicht in naher Zukunft: „Um die Sicherheit zu gewährleisten, müsste es für alles mindestens ein Reservesystem geben. Das wird zumindest für Mittelklassewagen dann einfach zu teuer“, schätzt er.

Dabei scheint der Mensch weitaus gefährlicher zu sein als die Computer: Laut Schätzungen sind 93 Prozent aller Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen. Mobileyes Bremsassistenten reduzieren schon jetzt die Zahl der Unfälle drastisch.

Anzeige

Eine Studie israelischer Versicherer stellte einen Rückgang der Unfallrate um 45 Prozent bei Autos fest, in denen sie eingebaut wurden. „Insgesamt sind bereits 40.000 Autos in Israel mit einem Bremsassistenten ausgestattet. Damit wurden hier im Land Tausende Unfälle verhindert und 450 Menschenleben gerettet“, sagt Elad Serfaty, Vizepräsident bei Mobileye.

Parkplatzsuche ist vorbei

Die Versicherungen sind so überzeugt, dass sie junge Autofahrer inzwischen dazu verpflichten, die Bremsassistenten einzubauen. „Inzwischen sind 40 Prozent der Neuzulassungen in Israel serienmäßig mit unserem Bremssystem ausgestattet“, so Serfaty.

Für Deutschland hätte eine ähnliche Strategie gewaltige wirtschaftliche Folgen. Laut Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen kosteten Unfälle die Wirtschaft im Jahr 2005 mehr als 31 Milliarden Euro. Ein Großteil dieser Kosten könnte so vermieden werden.

Eine Zukunft ohne Autounfälle und Ampeln

Das selbstständige Fahren von Autos soll in 10-20 Jahren den Straßenverkehr revolutionieren. Gerhard Fettweis ist ein Experte auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik und treibt diese Entwicklung an.

Quelle: Die Welt

Deswegen ist Serfaty überzeugt, dass die Welt des persönlichen Transports sich mittelfristig völlig verändern wird. Autonomes Fahren sei die Zukunft, sagt Aviram: „Die Zeit, in der jeder einen eigenen Wagen besitzen wollte, ist bald vorbei.“ Statt ein Auto zu besitzen, werden Menschen nur noch mit ihren Smartphones Fahrzeuge zur richtigen Zeit „direkt bis vor die Haustür bestellen. Parkplatzsuche ist dann passé, alles geschieht automatisch.“

Doch trotz der überzeugenden Vorschau, die die Firma in den Bergen Judäas liefert, hört sich das nicht völlig überzeugend an. Denn wer hätte nicht gern so eine schicke Audi-Limousine in seiner Garage stehen – selbst wenn sie allein zur Arbeit fahren kann?

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema

Themen