Digitale Terminvereinbarung:Bin beschäftigt

Digitale Terminvereinbarung: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Ein Start-up hat ein Programm entwickelt, das Kalender auswertet und Termine vorschlägt. Der Chatbot muss dafür von seinen Nutzern lernen - und deren Eigenarten.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Was unterscheidet Italiener vom Rest der Welt? Sie gehen jeden Tag mittagessen und wollen in dieser Zeit keine Termine wahrnehmen. Wie erkennt man, dass jemand in Los Angeles und nicht in New York wohnt? Wenn nach 18 Uhr keine Verabredungen mehr getroffen werden. Das sind keine Stereotype, sondern diese Antworten hat Meekan herausgefunden, ein Chatbot aus Tel Aviv, der Hunderttausende digitale Kalender analysiert hat.

Meekan ist ein Bot, der mögliche Termine vorschlägt und selbständig erkennt, wann günstige Zeitfenster für Verabredungen bestehen. Mehrere Zehntausend Menschen nutzen das Programm bereits. 2016 kaufte Doodle, der weltweit größte Online-Terminplaner, das israelische Start-up für einen zweistelligen Millionenbetrag. Jeden Monat nutzen weltweit rund 25 Millionen Menschen den Dienst zur Erstellung von Terminumfragen. Jeder 15. Deutsche beteiligte sich in den vergangenen 365 Tagen an einer Doodle-Umfrage oder gab eine in Auftrag.

Auf die Frage, ob es auch etwas gibt, was Deutsche von anderen Erdbürgern unterscheidet, zucken die israelischen Entwickler mit den Schultern. Die Frage wird an den via Skype aus der Schweiz zugeschalteten Doodle-Chef Gabriele Ottino weitergereicht. "Weißt du was Spezielles?" Auch der muss passen: "Mir fällt nichts ein." Meekan liefert also die Erkenntnis, dass Deutsche bei der Terminplanung nicht weiter auffallen. Noch ernüchternder ist ein weiteres Ergebnis: "Wir glauben, wir sind einzigartig. Aber jeder passt in eine von 20 Schubladen. Wenn sich der Bot vier Wochen deines Kalenders anschaut, dann weiß er, welcher Typ du bist", sagt Matty Mariansky.

Der 45-jährige Industriedesigner hat in den vergangenen zwei Jahren gemeinsam mit Eyal und Lior Yavor den Bot entwickelt. Die drei haben vor vier Jahren hier im Century-Hochhaus im Stadtzentrum von Tel Aviv das Start-up gegründet. Meekan heißt auf Hebräisch: Wer ist hier? Der 30-jährige Eyal hatte sich eine Domain mit diesem Namen gesichert, weil er eigentlich mit einem Freund eine Paparazzi-App entwickeln wollte. Diese App sollte anzeigen, wo sich Promis aufhalten. Aus dieser Idee wurde dann ein Interface, das Terminkalender managt und Verabredungen vereinbart. "Etwas Seriöses", wirft sein Vater ein.

Eyal Yavor hat, so wie drei seiner Mitarbeiter, seine Zeit beim Militär in jener Einheit 8200 absolviert, die sich mit elektronischer Aufklärung beschäftigt und für viele als Sprungbrett in ein Berufsleben im High-tech-Sektor gilt. Vater Lior, ein ehemaliger Pilot, ist mit 60 Jahren der mit Abstand Älteste im Team der insgesamt neun Mitarbeiter, die anderen sind nicht älter als 31 Jahre. "Ich bin der Großvater von Meekan." Der Sohn wirft ein: "Und die Testperson. Wenn du es verstehst, verstehen es alle."

Nicht jeder versteht das Gleiche, wenn man am Montag ein Treffen für Mittwoch vereinbart

Für den Doodle-Chef ist der Kauf von Meekan eine Absicherung für die Zukunft. "Wir hoffen, dass Doodle durch Meekan smarter wird", sagt Gabriele Ottino. "Wenn einmal jeder einen Bot in seinem Messenger hat, der die Termine organisiert, dann wird das auch für uns disruptiv sein. Denn im Extremfall braucht man Doodle dann nicht mehr. Deshalb bereiten wir uns vor." Meekan kann bereits in die Gruppen-Messaging-Dienste Slack, Microsoft Teams und Hipchat integriert werden und sich mit anderen Chatbots unterhalten.

In der Kommunikation mit Menschen musste das Programm allerdings lernen, dass nicht jeder das Gleiche darunter versteht, wenn man am Montag ein Treffen für Mittwoch vereinbaren will. "In manchen Teilen der Welt ist das in zwei Tagen, in anderen ist erst der Mittwoch in der Folgewoche damit gemeint. Meekan ist ein bisschen amerikafixiert, und wir mussten ihm erst beibringen, dass er sicherheitshalber in Europa mit Datum nachfragt: Welchen Mittwoch meinst du?", sagt Matty Mariansky. "Aber Meekan meckert nie, auch nicht, wenn er Termine verschieben muss."

Damit Meekan tatsächlich bestmöglich die Termine vereinbaren und verwalten kann, muss ihm der Nutzer Einblick in sein Leben gewähren. Er muss ihm Dinge anvertrauen, die auch gute Assistentinnen und Assistenten wissen: wen man eigentlich nicht treffen mag. "Meekan ist höflich. Der Betreffende kriegt dann stets eine Antwort: ,Tut mir leid, Matty ist im Moment leider sehr beschäftigt!' Er würde aber nie meine wahren Gründe verraten", sagt Marinsky lachend. Aber Meekan sollte noch mehr wissen: wann man aufsteht, ab wann man Termine haben will und zu welcher Uhrzeit man auf keinen Fall gestört werden möchte. "Nur wenn der Bot das weiß, kann er auch danach handeln. Und er wird schweigen", versichert der Industriedesigner.

Auch Doodle-Chef Ottino beteuert, dass die Daten mit niemandem geteilt werden, weder mit den Teammitgliedern noch mit dem Chef. "Die Schweiz ist bekannt dafür, dass hier die Privatsphäre gewahrt bleibt", verweist Ottino auf den Firmensitz von Doodle in Zürich.

Doodle will in Zukunft verstärkt Geschäftskunden ansprechen

Ein Blick auf den von Meekan verwalteten Kalender eines seiner Gründerväter verrät viel: dass Mariansky seit dem 10. August 176 Termine mit 123 Kollegen absolviert hat - das macht 217 Sitzungsstunden, verrät der Bot und fügt noch ein mit einer Schweißperle versehenes Smiley dazu. Meekan weiß auch, wann der arbeitsintensivste Tag ist: Mittwoch - und dass die häufigsten Termine zwischen 10 und 11 Uhr absolviert werden. Auf den Dienstag fällt eine graue Lücke von zwei Stunden am Nachmittag, da kümmert sich Mariansky um sein Kind.

Während Doodle häufig von Privatpersonen genutzt wird, wird Meekan bereits stark von Geschäftskunden eingesetzt. In diesen Bereich will nun auch Doodle stärker einsteigen und entsprechende Software an Unternehmen verkaufen. Prototypen für Geschäftskunden, die direkt die Meekan-API nutzen und auf diese Weise Termine buchen und verwalten, gibt es schon. "Wir arbeiten derzeit an Premiumlösungen für Anfang nächsten Jahres, wo ein Teil dieser Intelligenz in die Doodle-Umfragen integriert wird", erklärt Ottino.

Auch Meekan muss noch lernen. Etwa, wie viel Zeit man in einer Stadt wie Tel Aviv braucht, um von A nach B zu kommen. Denn er darf die Termine nicht zu knapp hintereinander legen, vor allem zu Stoßzeiten. Und wie sieht Meekan nach Meinung seiner Erfinder eigentlich aus? "Das könnte er sein", meint Lior Yavor und zeigt auf eine handgroße schwarze Roboterfigur auf einem Sideboard. "Aber es ist auch nicht wichtig, wie er ausschaut. Wir nutzen ohnehin nur sein Gehirn."

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