Israels Botschafter im Interview "Deutschland hat sich seinen Rang verdient"

Düsseldorf · Israels Botschafter Yakov Hadas-Handelsman fordert Wachsamkeit gegenüber Antisemitismus unter Flüchtlingen. Und er lobt Deutschlands neue Rolle in der Welt.

 Israels Botschafter Yakov Hadas-Handelsman im Interview.

Israels Botschafter Yakov Hadas-Handelsman im Interview.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Es ist drückend heiß, als Israels Botschafter in der Redaktion eintrifft. "Israelisches Wetter", sagt er schmunzelnd. Und auch im nachfolgenden Gespräch weist er immer wieder auf Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Israel hin.

Herr Botschafter, Israel ist ein Einwanderungsland. Können wir von Ihnen lernen, wenn es um die Integration von Flüchtlingen geht?

Yakov Hadas-Handelsman Es gibt sicherlich Dinge, die als Vorbild dienen können, denn die Hilfe zur Einbürgerung ist in Israel tatsächlich sehr gut organisiert. Aber es gibt einen bedeutsamen Unterschied zu den Flüchtlingen, die in den vergangenen Monaten nach Deutschland gekommen sind. Die meisten Einwanderer nach Israel sind Juden. Sie kommen zwar aus sehr unterschiedlichen Ländern, aus sehr unterschiedlichen Milieus, aus ganz anderen Kulturen. Sie kommen in ein ihnen völlig fremdes Land, und trotzdem fühlen sie sich vom ersten Tag an in ihrer Heimat. Es ist fast wie eine Rückkehr, obwohl sie nie in Israel gewesen sind. Diese starke Identifikation macht es zumindest leichter, sich zu integrieren.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, hat vor einem neuen Antisemitismus gewarnt, weil die meisten Flüchtlinge aus arabischen Ländern stammen, in denen die Feindschaft zu Israel tief verwurzelt ist. Teilen Sie seine Befürchtung?

Hadas-Handelsman Ja, das tue ich. Und ich bin damit nicht der Einzige. Die Bundeskanzlerin und andere deutsche Politiker haben ja ebenfalls davor gewarnt. Diese antisemitischen Ressentiments sind eine Realität, vor der wir nicht in falsch verstandener Toleranz die Augen verschließen dürfen. Viele dieser Menschen kommen aus Diktaturen, wo die Mächtigen den Hass auf Israel und die Juden stets geschürt haben, um vom eigenen Versagen abzulenken. Wir müssen diese Vorurteile mit Bildung bekämpfen, Genauso wie den Antisemitismus, den es in Deutschland schon lange vor der Flüchtlingswelle gab. Antisemitismus ist immer nur ein Teil von Ausgrenzungen von Minderheiten, religiösen, politischen, sexuellen. Daher sind alle Mitglieder einer freien und demokratischen Gesellschaft verpflichtet, gegen Antisemitismus aufzustehen. Nicht nur, um Juden zu helfen, sondern sich selbst.

Seit einigen Jahren gewinnt in Europa wegen der israelischen Palästina-Politik eine Boykott-Kampagne gegen israelische Produkte an Fahrt. Ist das auch antisemitisch?

Hadas-Handelsman Selbstverständlich darf man die israelische Regierung für ihre Politik kritisieren! Aber wir müssen leider immer wieder die Erfahrung machen, dass sich hinter an sich legitimer Israel-Kritik häufig ganz andere Motive verstecken. Vordergründig richtet sich die Kampagne gegen die Besatzung. Wenn Sie sich die Forderungen aber genau anschauen, dann müssen Sie zu dem Schluss kommen, dass sie sich gegen das Existenzrecht von Israel richten: Eine Grundforderung ist die sogenannte Rückkehr von Millionen in alle Welt verstreuten Palästinensern an den Wohnort ihrer Vorfahren. Dieser künstliche Flüchtlingsstatus wird bereits in der vierten Generation erhalten. In Wirklichkeit geht es darum, den jüdisch-demokratischen Charakter Israels auszulöschen. Diese Absicht ist eine Form von Antisemitismus.

Trotzdem: Vor allem wegen der Siedlungspolitik steht Israel seit Langem international in der Kritik. Haben Sie da nicht doch Fehler gemacht?

Hadas-Handelsman Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass Siedlungen keinem Friedensschluss im Weg stehen würden. Wir haben uns vom Sinai zurückgezogen und dort Siedlungen aufgegeben. Wir haben den Gazastreifen geräumt und dort Siedlungen abgerissen. Nichts ist unumkehrbar, außer dem menschlichen Leben. Die Annahme, Siedlungen seien das Hindernis für den Frieden, ist aber falsch. Vor 1967 gab es keine Besatzung, keine Siedlungen, keinen palästinensischen Staat — und wir wurden trotzdem angegriffen.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Hadas-Handelsman Eine Lösung kann es nur auf dem Weg direkter Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern geben, mit dem Ziel zweier Staaten, eines palästinensischen und eines jüdischen Nationalstaats. Und natürlich wird eine solche Lösung Zugeständnisse von beiden Seiten verlangen. Wir haben aber leider nicht den Eindruck, dass die palästinensischen Politiker den Mut haben, solche Kompromisse einzugehen. Das sehen wir am bereits geschilderten sogenannten Rückkehrrecht. Das ist natürlich völlig unrealistisch. Und das wissen diese Politiker auch. Aber sie sagen ihren eigenen Bürgern nicht die Wahrheit.

Israel erlebt derzeit eine Welle von Anschlägen, die teilweise sogar von Kindern begangen werden. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass sich immer mehr Palästinenser radikalisieren?

Hadas-Handelsman Es geht an unser Leben, natürlich wollen wir Frieden. Aber glauben Sie nicht die gerne verbreitete Behauptung, dass die Palästina-Frage die Mutter aller Konflikte in der Region ist. Wenn wir morgen einen Friedensvertrag mit den Palästinensern hätten, glauben Sie wirklich, dass der Nahe Osten mit einem Schlag befriedet wäre? Leider nicht! Die Motive für Attentäter sind längst andere. Gerade diese sehr jungen Täter, 14 oder 15 Jahre alt, die Passanten mit Messern angreifen, radikalisieren sich über das Internet, werden zum Opfer der Propaganda von Terrororganisationen und teilweise auch der palästinensischen Behörden. Und ihre Eltern fallen häufig aus allen Wolken. Aber solche Fälle gibt es ja längst auch in Europa.

Können wir von Israel lernen, was den Umgang mit dem Terror angeht?

Hadas-Handelsman Wir haben uns leider in Israel an eine dauerhafte Bedrohung gewöhnen müssen. Die strikten Sicherheitsvorschriften sind zwar manchmal lästig, aber sie werden akzeptiert. Solange die Behörden alles tun, um die Bedrohung so gering wie möglich zu halten, wollen die Bürger ein Leben führen, das so normal wie möglich ist. Und ich habe schon festgestellt, dass viele Menschen in Deutschland unseren Sicherheitsaufwand neuerdings mit deutlich anderen Augen sehen, seit es leider auch in Europa blutige Terroranschläge gegeben hat.

Israels Existenz, so hat Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal gesagt, sei deutsche Staatsräson. Wie ernst nehmen Sie diese Aussage?

Hadas-Handelsman Sehr ernst. Es ist ein Freundschaftsbeweis, auch wenn wir diese Aussage von Frau Merkel nicht so bewerten, dass wir eines Tages deutsche Soldaten zu unserem Schutz anfordern würden. Israel hat seine eigene Doktrin und die besagt, dass wir jederzeit in der Lage sein müssen, uns alleine zu verteidigen. Das ist eine Lehre aus dem Holocaust. Aber natürlich ist es gut, wenn man Freunde hat, die einen unterstützen. Deutschland ist einer dieser Freunde, auf die wir dabei zählen können.

Wie sieht man in Israel Deutschlands neue, auch militärisch gewachsene Rolle in der Welt?

Hadas-Handelsman Wir wissen, dass sich Deutschland nicht danach gedrängt hat. Die Welt hat sich verändert, also musste sich auch Deutschland verändern. Es war keine Option für ein so wichtiges und wirtschaftlich starkes Land, einfach nur zuzuschauen, während sich die Lage rundherum zuspitzt. Heute basiert unsere besondere Beziehung zu Deutschland auf zwei Säulen — der Vergangenheit, die immer da sein wird. Und der Gegenwart, in der wir viele gemeinsame Projekte verfolgen. Aber all dies wäre nicht möglich gewesen, wenn Deutschland sich nicht in so vorbildlicher Weise mit den dunklen Seiten seiner Geschichte auseinandergesetzt hätte. Deutschland hat sich seinen neuen Rang in der Welt verdient.

Matthias Beermann, Michael Bröcker und Stefan Weigel führten das Gespräch.

(RP)
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