Israels neuer Botschafter im BILD-Interview: „Deutschland versteht unsere Sorgen“

Von: Antje Schippmann

Der neue Botschafter des Staates Israel tritt seinen Posten in turbulenten Zeiten an. BILD traf Jeremy Issacharoff (62) und seine Ehefrau Laura Kam zum offenen Gespräch über Deutschland und Israel, die Krisen im Nahen Osten, den Einzug der AfD in den Bundestag und die politischen Diskussionen am familiären Abendbrottisch.

BILD: Wie waren ihre ersten Tage in Deutschland?

Jeremy Issacharoff: „Ich hätte mir keinen herzlicheren Empfang vorstellen können, es war überwältigend. Jeder ist so höflich und warmherzig. Wir hatten von Anfang an wichtige Termine, der israelische Präsident war hier, ich habe die Kanzlerin getroffen, den Bundestags- und Bundesratspräsidenten, war im Auswärtigen Amt. Es fühlt sich so an, als wäre ich schon seit Jahren hier!“ 

Und wie gefällt Ihnen das?

Issacharoff: „Ich liebe es! Ich arbeite jetzt seit 36 Jahren für das israelische Außenministerium. Man würde meinen, dass es nach einer so langen Zeit schwierig ist, noch einmal enthusiastisch zu werden. Aber Berlin begeistert mich. Zuvor habe ich größtenteils zu israelisch-amerikanischen Fragen und zu strategischen Beziehungen gearbeitet, zuletzt mit Schwerpunkt Iran. Jetzt in Deutschland zu starten, ist äußerst interessant. Das Land steht an einem wichtigen Punkt, seine Rolle in Europa und der Welt wird immer wichtiger. Es sind bewegte und interessante Zeiten.“ 

Also ist es kein einfacher Posten?

Issacharoff: „Ich kann mir keinen Posten vorstellen, in dem ich herzlicher empfangen worden wäre. Die Beziehung mit Deutschland ist zwar sehr komplex und sensibel, zugleich aber auch warm und freundschaftlich. Wir sind auf einem hohen Level und wollen die Zusammenarbeit noch weiter ausbauen. Denn beide Seiten profitieren davon. Und Kooperation ist nicht nur das, was öffentlich geschieht, sondern auch das, was eher im Stillen abläuft. Gerade im Sicherheitsbereich arbeiten wir sehr gut zusammen, bei der Terrorbekämpfung können wir uns gegenseitig helfen. Auch im Cyberbereich gibt es eine immer stärkere Kooperation zwischen unseren Ländern.“ 

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In puncto Iran gibt es hingegen deutliche Unterschiede zwischen der Bundesregierung und der israelischen Regierung.

Issacharoff: „Wir sehen den Atomdeal mit dem Iran kritischer. Iran hat seit dem Deal sein Nuklearprogramm nicht aufgegeben, die Zentrifugen wurden weiterentwickelt. Zudem destabilisieren vom Iran unterstützte Milizen die Region. Sie halten das Regime von Assad in Syrien an der Macht, liefern massiv Waffen an die Terrororganisation Hisbollah, betreiben eine aggressive Politik im Jemen. Wir können nicht zulassen, dass der Iran, die Hisbollah und andere vom Iran unterstützte Terrorgruppen sich weiter in Syrien festsetzen. Und wir müssen daran denken, wo der Iran in acht Jahren steht, wenn die ersten Restriktionen aufgehoben werden – ob bis dahin ein Wandel seiner strategischen oder politischen Ziele abzusehen ist. Dafür müssen wir uns die aktuellen Handlungen anschauen, und die geben derzeit keinen Anlass, an einen solchen Wandel zu glauben. Im Gegenteil: Der Iran treibt sein Raketenprogramm weiter voran und entwickelt Langstreckenraketen, die eine Tonne schwere Sprengköpfe tragen können. Dafür gibt es keinen Grund, außer, man will einen nuklearen Sprengkopf entwickeln. Das sind alles nicht gerade vertrauensbildenden Maßnahmen, um es diplomatisch zu sagen. Ich glaube, dass Deutschland diese Bedenken versteht.“ 

Es gibt neuerdings immer wieder Gerüchte über einen Austausch mit den Saudis und anderen arabischen Staaten. Liegt in der gemeinsamen Bedrohungslage auch eine Chance für neue Allianzen?

Issacharoff: „Für viele Europäer ist der Konflikt mit den Palästinensern der große Konflikt im Nahen Osten, aber so einfach ist es leider nicht.

Iran ist eine große Herausforderung für die ganze Region, nicht nur für Israel. Über die Jahre haben wir gelernt, uns gegen die Bedrohung aus dem Iran zu verteidigen. Viele unserer Nachbarn sind jedoch teilweise nicht weniger besorgt als wir. Eines, was in den letzten Jahren immer deutlicher wurde, ist die Verschiebung der Sicherheitszusammenarbeit mit unseren Nachbarn. Unsere geteilte Sorge über die zahlreichen regionalen Bedrohungen – von Iran, Hisbollah, der Muslimbruderschaft bis hin zu ISIS – teilen wir mit moderaten arabischen Staaten. Ich finde, das wird international nicht genug beachtet: Israel nimmt auch in der Region eine stabilisierende Rolle ein! Wir bemühen uns nicht nur um gute Beziehungen mit Deutschland, sondern auch mit unseren Nachbarn.“ 

Zurück zur deutschen Politik: AfD-Vize Gauland hat am Tag nach der Wahl den Begriff der „Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson“ in Zweifel gezogen, mit der Begründung, dass man schließlich keine deutschen Soldaten entsenden wolle. Will Israel denn überhaupt deutsche Truppen?

Issacharoff: „Wir haben noch nie ein anderes Land gebeten, für uns zu kämpfen, sondern uns immer selbst um unsere nationale Sicherheit gekümmert. Deshalb stehen deutsche Soldaten für uns gar nicht zur Debatte. Es gibt fernab von Truppenentsendungen viele Wege, einander durch Sicherheitszusammenarbeit zu unterstützen, einschließlich der Terrorabwehr und anderen wichtigen Arten und Weisen. Die Sicherheitszusammenarbeit ist sehr eng. Der Erhalt und die Stärkung der deutschen Verpflichtung für die Sicherheit Israels ist für mich die Essenz der Staatsräson.“ 

Sind Sie besorgt über den Einzug der AfD in den Bundestag?

Issacharoff: „Israel ist immer besorgt, wenn sich Antisemitismus offenbart, egal von welcher Seite. Und während des Wahlkampfes wurden von Seiten der AfD einige Aussagen getätigt, die sehr an die israelischen Befindlichkeiten gegangen sind. Es wird niemanden erstaunen, dass es für Juden ein Problem ist, wenn jemand das Verhalten der deutschen Armee im Zweiten Weltkrieg lobt. Jetzt geht es für uns darum, wie die neue Bundesregierung dieser Haltung begegnen wird.“

Laura, Ihre Mutter hat als Kind den Holocaust überlebt, wie ist es für Sie persönlich, hier zu leben?

Laura Kam: „Es ist faszinierend. Ich habe nicht das Gefühl, das Land oder die Stadt aufgrund der Vergangenheit nicht genießen zu können. Aber wenn ich ein Mahnmal oder einen Stolperstein sehe oder mit Menschen ins Gespräch komme, kriecht die Erinnerung doch immer wieder hoch. Für viele Juden war Deutschland nach dem Holocaust eine No-Go-Area. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der man nie wieder deutschen Boden betreten oder auch nur deutsche Produkte kaufen wollte. Meine Mutter und meine Großmutter kommen aus Dortmund, meine Mutter ist als Kleinkind nach Belgien gezogen, ihr Vater war Fußballspieler und hatte dort einen neuen Verein. Während des Kriegs wurde sie versteckt und hat so überlebt. Ihre Mutter ist im Ghetto in Dortmund gestorben, ihr Vater wurde in Auschwitz ermordet, der Großvater in Theresienstadt. Wir haben also eine sehr schwere Familiengeschichte.“ 

Und was sagt Ihre Mutter nun zu Ihrer neuen Heimat?

Laura Kam: „Sie wird uns in Berlin besuchen! Es ist ihre erste Reise nach Deutschland, seit sie das Land als Kind verlassen hat. Es ist sehr aufregend für sie, aber sie ist auch unglaublich stolz, dass sie als Schwiegermutter des Botschafters des Staates Israels zurückkommt. Es ist eine sehr besondere Situation. Und wir werden auch nach Dortmund fahren und ihren Geburtsort besuchen.“ 

Issacharoff: „Ich möchte etwas hinzufügen: Meine Mutter ist in den 1930er Jahren in Jerusalem aufgewachsen, mein Vater ebenso. Meine gesamte Familie war also in Israel während des Krieges, niemand wurde im Holocaust ermordet. Als ich Laura heiratete, habe ich erst gelernt, wie tief die Erfahrung des Holocaust in den Familien sitzt und wie diese auch weitergegeben wird. Und nun auch an meine Kinder. Die Erinnerungen sind da und sind sehr präsent. Es war mir persönlich sehr wichtig, dass mein erster offizieller Akt als Botschafter der Besuch des Gleis 17 war.“ 

Kam: „Israelische Kinder lernen sehr viel über den Holocaust. Sie reisen nach Polen und besuchen die Vernichtungslager. Bei vielen Familien wird über die Erfahrung nur geschwiegen. In meiner Familie hingegen wurde sehr viel darüber gesprochen.“ 

In Deutschland scheint es vor allem in der jüngeren Generation immer weniger eine Rolle zu spielen. Gehört die Erinnerung daran auch zu Ihren Aufgaben? 

Issacharoff: „Absolut. Meine deutschen Amtskollegen haben alle ein großes Bewusstsein für die Geschichte. Aber für junge Menschen ist es eine andere Sache. Deshalb will ich einen Schwerpunkt auf den Austausch legen. Damit junge Leute Israel nicht nur durch die Linse der Medien sehen, sondern einen ungefilterten Blick bekommen. Wer zum Beispiel in den letzten Tagen in Israel war, konnte 30 000 Menschen sehen, Israelis und Araber, die gemeinsam für Frieden demonstrieren. In unseren Krankenhäusern kann man sehen, wie arabische Ärzte jüdische Patienten behandeln, jüdische Ärzte arabische Patienten. Oder im Golan wie arabische und jüdische Ärzte gemeinsam verwundete Syrer versorgen. Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass wir unseren Nachbarn medizinische Hilfe anbieten. Es gibt ein sehr hohes Maß an Koexistenz. Wir leben in Südjerusalem, mit fünf arabischen Dörfern um uns herum. Dort gibt es zwar immer wieder Probleme und Blutvergießen, aber eben auch jeden Tag das einfache gemeinsame, friedliche Leben. Es gibt also eine ganz andere Israel-Erfahrung, die ich gerne den jungen Deutschen zeigen würde, ich möchte, dass sie die Schönheit und Vielfalt des Landes verstehen, die Koexistenz zwischen Israelis und Arabern erleben. Dass sie sehen, wie Israel über die Jahre die immense Herausforderung gemeistert hat, Menschen aus allen Teilen der Welt aufzunehmen und als vollwertige Mitglieder in die Gesellschaft zu integrieren.“ 

Also kann Deutschland auch in punkto Integration etwas von Israel lernen?

Issacharoff: „Möglicherweise, auch wenn alle Länder natürlich eigene Erfahrungswerte haben. Obgleich Israel in seiner jungen Geschichte oft vor riesigen Herausforderungen stand, hat es immer wieder innovative und kreative Wege entwickelt, um diesen Problemen zu begegnen, sowohl im Hightech-Bereich, als auch in der Gesellschaft. Araber und Drusen sitzen als Abgeordnete im Parlament und sind Richter am Obersten Gerichtshof. Es ist wichtig, dass man alle Bevölkerungsgruppen einbindet und ihnen Verantwortung gibt.“ 

Was denken Ihre Kinder über den Umzug nach Berlin?

Kam: „Sie freuen sich für uns. Auch weil Berlin zurzeit ungefähr das heißeste, beliebteste Pflaster für junge Israelis ist. Und nun haben sie – und ihre Freunde! – eine Bleibe hier. Das gefällt ihnen schon ganz gut!“ 

Ihr älterer Sohn Dean war Offizier und wurde danach Sprecher der armeekritischen NGO „Breaking the Silence“ – also jener Gruppe, die von Sigmar Gabriel auf seiner ersten Israel-Reise als deutscher Außenminister besucht wurde, was für einen kleinen Eklat mit Ministerpräsident Netanyahu sorgte. Ihr jüngerer Sohn David diente bis zuletzt in der Armee. Wie laufen die politischen Diskussionen am Abendbrottisch? 

Issacharoff: (lacht) „Ja, wenn wir Freitagabends zusammen essen, haben wir immer sehr lebendige politische Diskussionen. Die Kinder sind ja in Washington aufgewachsen und waren alle immer sehr politisch interessiert. Dean hat sich für diesen Weg entschieden nachdem er vier, fünf Jahre in einer Kampfeinheit gedient und im letzten Krieg in Gaza gekämpft hat. Wir haben zwar verschiedene Positionen und diskutieren darüber, aber ich respektiere seine Entscheidung und er respektiert, dass ich jetzt als Botschafter in Deutschland die Interessen Israels vertrete. Goethe hatte Recht, als er sagte, dass Eltern ihren Kindern Wurzeln und Flügel geben sollen. Mein Vater kämpfte interessanterweise vor der Staatsgründung für die Untergrundorganisation Etzel. Wir haben also eine typische israelische Familiengeschichte, die vielseitige israelische Gesellschaft im Kleinen.“ 

Kam: „Ich möchte noch hinzufügen, dass unsere Söhne beide als Kampfsoldaten trainiert wurden. Sie wurden dazu ausgebildet, mutig zu sein und riskante Situationen zu meistern. Und ich bin immer wieder so erstaunt darüber, wie mutig meine beiden Söhne sind und was sie bereit sind, für ihr Land zu opfern.“ 

Es muss sehr schwer für sie gewesen sein, als ihr ältester Sohn im Krieg war.

Kam: „Die Tage, als Dean in Gaza im Krieg war, waren absolut die schwersten und schlimmsten Tage meines Lebens. Ich sage immer, dass ich das Gefühl habe, als hätte ich eine posttraumatische Belastungsstörung aus diesen Tagen davongetragen! Aber im Ernst, ich habe in diesen Tagen wirklich alles hinterfragt. Durch unsere Entscheidung, unsere Heimat zu verlassen und nach Israel zu ziehen, um das Land mit aufzubauen, war mein Sohn in einer Gefahr, in der er nicht hätte sein müssen. Ich sah die Kinder meiner Freunde und Verwandten außerhalb Israels, die in diesen Tagen ganz normal zur Uni gegangen sind, die sicher waren, so wie es meine Kinder auch sein könnten. Ich habe beide Söhne immer wieder gefragt: Habt ihr keine Angst? Sie haben keine Angst. Das muss wohl eine Mischung aus Charakter und Training sein. Diese israelischen Kinder sind wirklich unglaublich stark.“ 

Zum Schluss noch zu einem wirklich ernsten Thema: Sind Sie – wie Ihre Vorgänger – Fußballfan?

Issacharoff: „Ich mag Fußball, früher war ich sogar richtig gut! Aufgrund meiner diplomatischen Karriere musste ich das leider in den letzten Jahren etwas vernachlässigen. Aber letzte Woche haben wir Bayern München gegen Hertha gesehen und es war ein unglaubliches Spiel, es hat mich wirklich begeistert! Ein überraschendes Spiel mit zwei Toren für Hertha, Sie können sicher sein, dass ich jetzt öfter ins Stadion gehen werde. Das ist zum Glück auch Teil des Jobs.“

 

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