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Debatte

„Deutschland muss sich entscheiden, in welche Richtung es gehen will“

Senior Editor
Jeremy Issacharoff, Jerusalems neuer Botschafter in Berlin, warnt vor Antisemitismus und verweist auf Israel: Dort gebe es seit jeher eine etablierte muslimische Gemeinde, die ihre Religion frei ausüben könne

Dieses Twitter frisst viel Zeit, aber es macht auch verdammt viel Spaß“, sagt Jeremy Issacharoff, 55, und schaut noch einmal auf den Bildschirm seines Computers, bevor er sich zum Interview in einen Sessel setzt. Seit er im August sein Amt in Berlin angetreten hat, übt er sich mit Leidenschaft darin, eine öffentliche Figur zu sein. „Bisher war ich ja eher einer, der im Stillen gearbeitet hat“, sagt er lächelnd.

Still, aber effektiv müsste man sagen. Der langjährige Weggefährte von Israels Premier Benjamin Netanjahu war als Vizegeneraldirektor des Außenministeriums zuständig für „strategische Angelegenheiten“, also Terrorabwehr, nahöstliche Sicherheitspolitik und die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. All das hat aus Israels Perspektive viel mit dem Iran zu tun – dem Kernthema israelischer Außenpolitik der letzten Jahre. Kein Zweifel: Mit Issacharoff schickt Netanjahu einen seiner besten Leute nach Berlin.

DIE WELT:

Herr Botschafter, Sie sind in London geboren und haben Ihr Jura-Examen an der renommierten London School of Economics mit Auszeichnung bestanden …

Jeremy Issacharoff:

Jepp. Stimmt.

Sie könnten heute vermutlich ein schwerreicher Londoner Anwalt sein.

Sehr schön, streuen Sie ruhig Salz in die Wunde. (Lacht.) Ein schwerreicher israelischer Diplomat bin ich auch nicht geworden. So viel kann ich Ihnen bestätigen.

Also: Was ist da schiefgelaufen?

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Ich habe mich nun einmal so entschieden. Die Familie meiner Mutter lebt seit vielen Generationen in Jerusalem. Mein Urgroßvater väterlicherseits war zwar in Samarkand geboren, aber schon als Kind ins Land Israel gekommen. Mein Vater war schon früh ein Anhänger des nationalen Flügels der zionistischen Bewegung. Die Etzel-Gruppe, zu der er gehörte, beging immer wieder Anschläge gegen die britische Mandatsmacht. Irgendwann fand mein Großvater, dass es besser sei, wenn sein Sohn mal nach England gehen würde, statt sich ständig dieser Gefahr auszusetzen. Zu Hause in London haben wir Hebräisch gesprochen, und wir sind immer wieder nach Israel gefahren. Da habe ich dann auch gesehen, wie Jerusalem geteilt war, die Sperranlagen, die Juden und Araber trennten. Die jordanischen Soldaten. Ich war nicht gerade verrückt nach Israel. Ich war ein netter Junge aus London. Aber eine Woche nachdem ich mein Studium begonnen hatte, brach der Jom-Kippur-Krieg aus. Ich meldete mich freiwillig, aber einen 18-Jährigen ohne militärische Fähigkeiten konnten sie nicht brauchen. Also ging ich in den Kibbuz, pflückte einen Monat lang Orangen und aß die Hälfte davon. Aber diesen Sommer werde ich nie vergessen. Erst diese israelische Selbstsicherheit und dann das Trauma jenes Krieges. Da habe ich entschieden, nach dem Studium zurückzukommen und zu bleiben.

Im Jom-Kippur-Krieg 1973 schien Israel einer Niederlage gegen Ägypten und Syrien sehr nahe. Ist ihr Land heute sicherer?

Damals waren wir jedenfalls zu sorglos gewesen. Nachdem Israel 1967 fünf arabische Staaten in nur sechs Tagen besiegt hatte, hielten wir uns für unverwundbar. Seither haben wir viel gelernt. Aber die Herausforderungen sind heute ganz andere. Die Lage in den besetzten Gebieten ist gar nicht mal unsere größte Sorge. Südlich von Israel liegt der Gazastreifen, den die Terrororganisation Hamas beherrscht. Nebenan ist der IS aktiv, auf der ägyptischen Sinaihalbinsel direkt vor unserer Grenze. Im Norden, in unseren Nachbarländern Libanon und Syrien, steht die Hisbollah-Miliz, die kampferfahrener und besser ausgestattet ist als viele Armeen der Erde. Auch der Iran ist dort präsent, dessen Atomprogramm wir als potenzielle Bedrohung betrachten. Kurzum: Die Gefahren sind heute komplexer. Wir sind nach traditionellen Maßstäben ein starkes Land. Wir haben eine starke Armee, dazu Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien, eine Sicherheitskooperation mit der palästinensischen Autonomiebehörde und gute Kontakte zu den Golfstaaten. Aber diese neuen Gefahren gehen uns alle an. Wir in Israel verwenden viel Energie darauf, neue Antworten darauf zu finden.

Angela Merkel hat erklärt, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson. Wie wichtig ist Deutschland für Israels Sicherheit?

Zunächst: Die Führungsrolle, die Kanzlerin Merkel bei der Unterstützung Israels spielt, ist einzigartig. Es gibt keinen Unterschied zwischen ihren Worten und ihrem Handeln dem Staat Israel und dem jüdischen Volk gegenüber. Ich glaube, ihr Verhältnis zu uns hat eine sehr tiefe, authentische Grundlage. Das verleiht auch dem Verhältnis zwischen unseren Staaten einen besonderen Charakter. Ich bin hier sehr warmherzig empfangen worden, von Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen, die mir gezeigt haben, wie eng, aber auch wie breit unsere Zusammenarbeit angelegt ist.

Wie profitiert Deutschland von dieser Beziehung?

Es geht nicht um Profit. Es geht um die Zusammenarbeit zweier Länder, die bestimmte Werte teilen. Deutschland hat Stärken, die kaum ein anderes Land besitzt, zum Beispiel auf technologischem Gebiet. Wir haben auch bestimmte Stärken, die gemeinsame Bedrohungen meistern helfen. Der Nahe Osten ist auch ein Labor, in dem sich globale Herausforderungen früh zeigen. Es gibt heute Terrorbedrohungen, mit denen Deutschland bisher noch keine Erfahrungen hatte. Da gibt es viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Wenn mir jemand aus dem deutschen Sicherheitsbereich sagt, dass Israels Informationen geholfen haben, das Leben deutscher Staatsbürger zu retten, dann ist das für mich das größtmögliche Kompliment.

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Eine Ihrer ersten Stellungnahmen drückte Besorgnis angesichts des Wahlergebnisses der AfD aus. Was halten Sie von Albrecht Glaser, dem AfD-Kandidaten für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten, der die Religionsfreiheit für Muslime abschaffen will?

Ich war schon vor der Bundestagswahl besorgt. Wenn ein deutscher Politiker von Stolz auf die Wehrmacht spricht, dann kann ein Jude und Israeli das nur mit Bestürzung zur Kenntnis nehmen. Mir machen alle antisemitischen Äußerungen Sorgen, egal von welcher Seite sie kommen. Meine erste Rede in Deutschland habe ich am Berliner Mahnmal Gleis 17 gehalten, wo früher einmal Züge in die Vernichtungslager abfuhren. Wir dürfen die Vergangenheit nie vergessen, aber sie darf unsere Zukunft nicht überschatten. Deutschland muss sich entscheiden, in welche Richtung es gehen will. Was die Rechte von Muslimen in Deutschland angeht, kann ich nur auf das Beispiel Israels verweisen. Wir haben Krieg geführt gegen arabische Staaten, und wir haben auch interne Probleme. Aber bei uns gibt es seit jeher eine sehr etablierte muslimische Gemeinde. Zu unseren Staatsbürgern gehören eine Million Menschen arabischer Herkunft, wir haben muslimische Parlamentsabgeordnete, Unternehmer, Richter. Ich will Deutschland keine Ratschläge erteilen. Aber bei uns gab es nie Beschränkungen der religiösen Rechte von Muslimen. Ich könnte mich nicht erinnern, dass bei uns auch nur jemand die Idee geäußert hätte.

Die Bundesrepublik hat entscheidenden Anteil an dem Nuklearabkommen mit dem Iran, das Israel so heftig kritisiert. Ist Deutschland da seiner Verantwortung gerecht geworden?

Wie Sie wissen, war ich in meiner bisherigen Funktion intensiv mit dem Thema Iran befasst. Ich habe mich dabei über zwei Jahrzehnte lang immer wieder mit deutschen Vertretern ausgetauscht. Das war immer ein sehr enger und starker Dialog. Das Atomabkommen sehen wir unterschiedlich. Ich weiß, dass Deutschland der Ansicht ist, das sei der bestmögliche Deal gewesen. Wir hätten uns dagegen eine Vereinbarung mit längerer Laufzeit gewünscht, die Sanktionen erst aufhebt, wenn nachweisbar ist, dass der Iran seine Politik geändert hat, und auch eine stärkere Begrenzung der iranischen Atomforschung. Wir fragen uns, was passiert, wenn in acht bis neun Jahren die Beschränkungen aus dem Abkommen nach und nach wegfallen. Auch danach müssen wir verhindern, dass der Iran Atomwaffen erhält. Die Kanzlerin und unser Premierminister haben darüber gesprochen, und ich denke, dass unsere Regierungen da viele Einschätzungen teilen.

Deutschland und die EU haben sich deutlich gegen eine Auflösung des Abkommens ausgesprochen. Ist das richtig?

Die Amerikaner sagen in solchen Fällen: Fix it or nix it. Also: reparieren oder wegschmeißen. Präsident Trump hat in seiner Rede das Abkommen zwar nicht bestätigt, aber er hat dem Kongress auch die Möglichkeit eröffnet, ein klareres und vor allem robusteres Einvernehmen mit dem Iran zu erreichen. Ich glaube, das ist die Option, die man jetzt als Erstes und sehr ernsthaft prüfen muss. Der Iran hat sich nicht entschieden, sein Atomprogramm zu beenden. Und er ist weit davon entfernt, sein Raketenprogramm einzustellen. Im Gegenteil: Gerade hat er eine Rakete mit einer Tragkraft von offenbar einer Tonne getestet. Dafür gibt es kaum andere denkbare Verwendungen als den Transport eines Atomsprengkopfes.

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