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Armin Laschet im InterviewNRW-Ministerpräsident warnt vor neuem Antisemitismus

Lesezeit 10 Minuten
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Ministerpräsident Armin Laschet beim Interviewtermin mit „Haaretz“ und Wolfang Wagner (v.l.), Gerhard Voogt sowie Chefredakteur Carsten Fiedler vom „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Köln – Den bevorstehenden Besuch von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet in Israel vom 4. bis zum 6. September haben die Redaktionen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ für ein besonderes Projekt genutzt. Zusammen mit dem Deutschland-Korrespondenten von „Haaretz“, Ofer Aderet, interviewten „Kölner Stadt-Anzeiger“-Chefredakteur Carsten Fiedler sowie die Leitenden Redakteure Gerhard Voogt und Wolfgang Wagner den Ministerpräsidenten.

Ofer Aderet wurde zu dem Gespräch per Skype zugeschaltet. Laschet beantwortete fast zwei Stunden lang Fragen zur Zuwanderung, zur Gefahr eines erstarkenden Antisemitismus in Deutschland sowie zur Kritik an antisemitischen Stereotypen in deutschen Schulbüchern. Das Interview erschien zeitgleich in beiden Zeitungen am 3. September. Auf „ksta.de“ ist neben der deutschen auch die englische Version des Interviews abrufbar.

In Bonn wurde ein amerikanischer Professor attackiert, der eine Kippa trug. Gibt es eine neue Dimension des Antisemitismus in NRW?  

Alles zum Thema Armin Laschet

Der Vorgang im Bonner Hofgarten betrübt mich sehr. Zum Glück gab es zuletzt in Nordrhein-Westfalen keinen vergleichbaren polizeirelevanten Vorfall, dennoch glaube ich, dass wir in einer Atmosphäre leben, in der der Antisemitismus wieder droht zu erstarken. Die Gefahr geht von zwei Seiten aus: Das ist zum einen der schon immer da gewesene Antisemitismus von rechts, den wir konsequent bekämpfen müssen. Zum anderen müssen wir aber auch denjenigen Zuwanderern, die zum Teil mit einer antisemitischen Tradition aufgewachsen und nun nach Deutschland gekommen sind, klar sagen, dass wir Antisemitismus niemals dulden werden. 

Haaretz: Ist es in Nordrhein-Westfalen gefährlich, Kippa zu tragen?

Jeder vergleichbare Vorfall ist einer zu viel. In Nordrhein-Westfalen ist es aber zum Glück üblich, dass unterschiedliche Religionen und Kulturen friedlich zusammen leben. Das wollen wir auch erhalten. Aber wir müssen immer wachsam sein. In Berlin etwa sind Fälle bekannt geworden, bei denen jüdische Schüler systematisch gemobbt und  beleidigt wurden. Ich habe unsere Schulministerin daher gebeten, zusätzliche Vorsorge zu treffen und die Schulen für antisemitisches Mobbing zu sensibilisieren. 

Haaretz: Wie wird sich Deutschland in den nächsten Jahrzehnten durch die Zuwanderung von Arabern und Muslimen verändern? 

Nicht, wenn wir unsere freiheitlichen westlichen Werte auch überzeugend leben. Deutschland hatte immer schon eine Tradition von Zuwanderung. Das war zuerst eine Zuwanderung von Bergarbeitern aus Polen im 19. Jahrhundert, nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Italiener, Portugiesen und mit den Türken auch die ersten Muslime. Ich bin guter Dinge, dass auch die Flüchtlinge, die 2015 zu uns gekommen sind, Teil unserer Tradition des Miteinanders in Deutschland werden oder bereits sind.

Haaretz: Welche Herausforderungen bringt die Migration  für Deutschland und für Ihr Bundesland mit sich und wie stellen Sie sich darauf ein?

Wir müssen jenen, die zu uns gekommen sind, die besonderen  Aspekte der deutschen Geschichte früh erklären. Deutschland hat durch seine historische Verantwortung eine besondere Beziehung zu Israel, das müssen wir den Migranten klar verdeutlichen. Da sind vor allem die Schulen und Bildungseinrichtungen gefordert.

Sollte der Besuch einer Holocaust-Gedenkstätte für Schüler Pflicht werden?

Junge Leute haben oft prinzipiell Vorbehalte gegen Dinge, die man ihnen vorschreibt. Viel zielführender ist es, die Erinnerungsarbeit in den Lehrplänen stärker zu verankern und Anreize zu geben, Gedenkstätten zu besuchen oder auch nach Auschwitz zu reisen. Dank des Engagements der Koalitionsfraktionen von CDU und FDP bei uns im Landtag stellen wir hierzu auch finanzielle Mittel bereit.

Der Zentralrat der Deutschen Juden kritisiert die Deutschen Schulbücher. Diese würden „antisemitische Stereotypen“ verbreiten….

Wir sind gut beraten, die Kritik an den deutschen Schulbüchern ernst zu nehmen. Bei dem nächsten Treffen des Kabinetts mit den jüdischen Landesverbänden möchte ich die  Überarbeitung der Schulbücher auf die Tagesordnung setzen. Das gilt für die Bücher aller Schulformen. Antisemitismus ist nicht auf bestimmte Bildungsschichten beschränkt.

Haaretz: Glauben Sie auch, dass der Islam zu Deutschland gehört?

Das ist eine besondere Reizformulierung. Die Diskussion über diesen Satz hat niemanden weiter gebracht. Sie löst keine Probleme, sondern lenkt von den eigentlichen Fragen ab. Wenn fünf Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland leben, dann gehören diese natürlich zu uns. Sie sind Teil dieses Landes, wie es Juden und Christen auch sind. Natürlich stimmt es, dass der Islam die Geschichte unseres Landes nicht geprägt hat wie Judentum und Christentum. Zum Christentum und zu unserer Verfassung gehört aber auch das klare Bekenntnis zur Religionsfreiheit.

Der Islam und die Zuwanderung ist ein großes Thema in Deutschland: Hat man sich zu wenig mit dem Judentum befasst?

Den Dialog mit dem Judentum und der Austausch mit Israel war für mich schon immer außerordentlich wichtig. Ich war selbst schon mehrfach in Israel und habe immer dafür plädiert, diesen Dialog noch zu intensivieren. Wir müssen jetzt den christlich-jüdischen Dialog um den Islam erweitern. Ich habe mir vorgenommen, zum 80. Jahrestag der Reichsprogromnacht am 9. November eine gemeinsame Erklärung von Juden, Christen und Muslimen in Nordrhein-Westfalen zu initiieren. Es ist gut, wenn auch in den muslimischen Gemeinden über das Holocaust-Gedenken diskutiert wird und wir gemeinsam mit den Muslimen Position zur deutschen Geschichte beziehen.   

Haaretz: Wer ist für die Juden in Deutschland die größere Bedrohung: die Rechtsextremen oder die Islamisten?

Von der Zahl her die Rechtsextremen. In Deutschland gibt es seit Jahrhunderten Antisemitismus, nicht erst seit 1933 oder 2015. 

Wie wollen Sie Kindern von Einwanderern erklären, dass sie eine besondere Verantwortung gegenüber Israel haben?

Das ist leider auch bei vielen jungen Deutschen eine bleibende Herausforderung. Viele jüdische Wissenschaftler und Intellektuelle sind im Dritten Reich in die damals junge Republik Türkei geflüchtet. An die Tradition des Helfens können auch junge Türken anknüpfen. 

„Wenn der Umgang mit Minderheiten entscheidend ist für die WM-Vergabe, haben wir beste Chancen gegen die Türkei“

Es gibt aber auch syrische Flüchtlinge, bei denen der Hass auf Israel durch den Nahost-Konflikt genährt wird.

Da ist es sicher mühsamer, aber wir haben die Pflicht, diese besondere Verantwortung zu erklären und zu vermitteln. Die Meinungsfreiheit erlaubt Kritik an der israelischen Regierung, aber nicht Antisemitismus.

Haaretz:  Der Fall des deutschen Fußball-Nationalspielers Mesut Özil hat hohe Wellen geschlagen. Ist der Traum von einem besseren Zusammenleben der Kulturen in Deutschland geplatzt?

Ich glaube nicht. Die Diskussion über Mesut Özil hat an vielen Stellen gekrankt. Ich habe manches, was von Seiten des Deutschen Fußball-Bundes gesagt wurde, als nicht hilfreich empfunden, aber auch die Stellungnahme von Özil über den DFB war überzogen. Wir müssen jungen Migranten deutlich machen, dass sie in Deutschland alles erreichen können, wenn sie sich anstrengen. Özil ist ein Vorbild für viele türkischstämmige Jugendliche. Ich hoffe, dass andere seine Rolle ausfüllen können. Wer in der Nationalmannschaft spielt, entscheidet der Bundestrainer nach sportlichen Kriterien. Das ist keine politische Diskussion. Leistung muss das Kriterium sein. Das gilt übrigens nicht nur im Fußball.

Glauben Sie, dass die Türkei versucht, mit der Kritik am Umgang mit Özil nach dem Vorrunden-Aus der Deutschen Punkte  bei der Vergabe der EM 2024 zu sammeln?

Das kann sein. Wenn der Umgang mit Minderheiten und die Vielfalt der Kulturen aber entscheidend sind für eine EM-Vergabe, dann haben wir beste Chancen gegen die Türkei. 

Bei der Ruhrtriennale, der zentralen Kulturveranstaltung des Landes NRW, gab es einen Eklat um die Einladung einer israelkritischen Band aus Schottland. Wie konnte es dazu kommen?

Die Unbedarftheit der Verantwortlichen, die durch die Einladungen zum Ausdruck gebracht worden ist, ist äußerst kritikwürdig. Die Vorgänge bei der Ruhrtriennale haben vor allem dem Festival selbst geschadet. Aus diesem Grund bin ich in diesem Jahr auch nicht dorthin gefahren und wir haben den Empfang der Landesregierung abgesagt. Das war glaube ich ein klares und notwendiges Signal dafür, dass wir mit diesen Vorgängen nicht einverstanden sind. 

Sie fliegen in dieser Woche nach Israel. Welche Botschaft wollen Sie mit der Reise setzen?

Kein anderes Bundesland pflegt so kontinuierliche, so enge und freundschaftliche Beziehungen zu Israel wie Nordrhein-Westfalen. Am 70. Jahrestag der Gründung Israels haben sich alle noch lebenden Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei versammelt. Einen solchen Termin gab es sonst nie. Das hat unterstrichen, wie eng das Land mit Israel verbunden ist. Diese Tradition will ich jetzt weiterentwickeln und vertiefen,

Was sind die wichtigsten Programmpunkte?

Wir werden - neben den offiziellen Gesprächen -  den Opfern des Holocaust gedenken. Hinzu kommt ein Schwerpunkt in den Bereichen Wirtschaft, Technologie, Wissenschaft und Sicherheit. In Tel Aviv interessiert mich vor allem die Verbindung von technologischer Innovation und Unternehmertum – auch im Start-up-Bereich. Dazu gehört auch die Verknüpfung von militärischer Grundlagenforschung mit Innovationen für die Wirtschaft. Die Erkenntnisse für die Cybersicherheit kann man auch zivil nutzen. Davon können wir vielleicht etwas lernen. 

Gibt es auch neue Impulse für die wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit?

Da wird es sogar mehrere Impulse geben: Im wirtschaftlichen Bereich werden wir eine verstärkte Zusammenarbeit nordrhein-westfälischer und israelischer Firmen insbesondere im Technologiesektor vereinbaren. Es wird mehr Austausche und Anbahnungen gemeinsamer Projekte geben. Israel ist außerdem ein Land technologischer und naturwissenschaftlicher Spitzenforschung. Das gilt auch und gerade für Zukunftstechnologien, die für Nordrhein-Westfalen von größtem Interesse sind: Künstliche Intelligenz etwa, oder Big Data-Anwendungen im Bereich der Medizin. Deswegen werden wir zum Beispiel das Weizmann-Institut in Revohot besuchen. Auch die Kooperation im Hochschulbereich soll intensiviert werden. So soll etwa der Ausbau unseres „New Kibbuz“ Programms für Studenten der Ingenieurwissenschaft vereinbart werden. Ich werde zudem ein Stipendium stiften, das jungen Doktoranden ein Jahr lang einen Forschungsaufenthalt in Israel finanzieren soll. Aber es geht nicht nur um Verträge, wir wollen künftig in Israel insgesamt sichtbarer auftreten.

Eine NRW-Botschaft in Israel?

Nicht im diplomatischen Sinn, aber wir wollen die  Präsenz von Nordrhein-Westfalen in Israel  deutlich verstärken. Ich habe die Absicht, in Tel Aviv eine eigene Repräsentanz des Landes Nordrhein-Westfalen zu eröffnen. Das NRW-Haus soll ein klassischer Begegnungsort für Wirtschaft, Bildung, Forschung und Kultur werden. Also für die Bereiche, für die ein Bundesland zuständig ist. Diese Einrichtung ist auch ein klares Signal der Wertschätzung an unsere Freunde in Israel und soll uns neue Chancen zur Vertiefung unserer Beziehungen bieten.

Kann NRW auch von uns lernen?

Selbstverständlich. Das gilt nicht nur für den Wissenschaftsbereich, wir wollen uns zum Beispiel auch darüber austauschen, wie man dem religiösen Fanatismus durch Präventionsarbeit begegnen kann. Wir haben in Nordrhein-Westfalen erfolgreiche Konzepte, wie man Jugendliche davor bewahrt, in eine Spirale der Radikalisierung zu geraten. Die möchte ich in Israel vorstellen und gleichzeitig die Projekte und Ideen der israelischen Seite kennenlernen.

Haaretz:  Haben Zuwanderer irgendwelche negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft in NRW?

Der Fachkräftemangel in Deutschland bremst heute leider schon unsere wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Wir haben 300 000 Stellen, die mit Geflüchteten besetzt werden konnten und damit die große Chance, unseren Fachkräftemangel ein Stück weit mithilfe der Zuwanderer zu beheben.  

Haaretz:  Bringt der Streit um die Zuwanderung in der Bundesregierung Bundeskanzlerin  Merkel in Gefahr?

Nein. Die schwierigste Zeit war das Jahr 2015. Die CDU hat der Kanzlerin aber immer wieder breite Rückendeckung gegeben, auch in der Auseinandersetzung  mit der CSU über die Frage: Setzen wir auf nationale Alleingänge mit neuen Grenzkontrollen oder kämpfen wir für eine gemeinsame Lösung in Europa? Die Grundfragen sind jetzt geklärt, die Zahl der Flüchtlinge geht zurück. In der Frage der Integration der Zuwanderer gibt es heute einen parteiübergreifenden Konsens.

Haaretz: Haben Sie Pläne, in Zukunft in die Bundespolitik zu wechseln?

Nordrhein-Westfalen ist ein Bundesland mit rund 18 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von über 800 Milliarden Dollar. Es ist größer und wirtschaftlich stärker als viele europäische Nationalstaaten. Und vor allem ist es wunderschön. Ich bin sehr gerne Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Dabei bleibt es - egal ob die Frage aus Israel oder aus Köln kommt.

Das  gemeinsame Gespräch der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ und des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet führten Ofer Aderet, Carsten Fiedler, Gerhard Voogt und Wolfgang Wagner

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