Ulrich Klose / 25 Jahre

Modi

Ungefähr 2100 Jahre vor Christus

Auf einem schmalen und steil ansteigenden Pfad, zwischen hellroten und gelben Sandsteinfelsenwänden, liefen ein junger Mann und ein Kamel. Nach fast zehn Tagen in der prallen Sonne, ohne Unterschlupf und die Möglichkeit die Vorräte aufzustocken, war er ausgehungert und dehydriert. Entsendet während einer anhaltenden Dürre, um für seine nomadische Hirtenfamilie neue Weiden zu erkunden, verlief er sich in einem Labyrinth kaum wahrzunehmender Pfade, begann verzweifelt umherzulaufen und nach einer Wasserquelle zu suchen. Sein ganzes Leben lang war er es gewohnt, dass Wasser aus den Bergen die tiefer liegenden Weideflächen bewässert, in letzter Zeit blieb das Wasser sogar nach regnerischem Wetter aus. Der Weg machte den Anschein, als wäre er von Wasser ausgehöhlt und die höher liegenden Felsen von Wind und Sand geschliffen; jedoch gab es nur Sand, Staub und kein direktes Anzeichen von Wasser, ja sogar die resistenten Ararsträucher, entlang des Weges, waren von der Sonne verdorrt. Das Flussbett war schon lange ausgetrocknet; anstatt frischen Wassers fühlte er heißen Wind, der seine Körpertemperatur ansteigen ließ, und er musste im Schatten eines Felsen ruhen. Er und das Kamel ließen sich an einem Felsvorsprung direkt an einer Windung des Pfades nieder, von dieser Stelle aus konnte er das Dana-Tal, das Tal seiner Familie mit den hohen Zypressen, sehen, die einzige grüne Farbe, die er ausmachen konnte. Er fühlte Scham, ohne Neuigkeiten über grünes Weideland erfahren zu haben, wenigstens wollte er die verbrauchten Wasserschläuche wieder auffüllen. Die Anzeichen waren eindeutig, und er erkannte, es würde selbst hier keinen kleinen Tümpel oder einen schmalen Wasserlauf geben. Er musste sich entscheiden, ob er die Suche weiter führen oder mit der gesamten Herde das Tal verlassen sollte. Ein Aufbruch ins Ungewisse würde sicherlich viele Tiere das Leben kosten,  andererseits würden alle Ziegen und vielleicht sogar Kamele verhungern und verdursten, falls es nicht bald regnen sollte.

Plötzlich war das Zwitschern eines Vogels deutlich hörbar, ein sich wiederholender Rhythmus von schnellen und hohen Tönen. Eilig erhob er sich, aber ohne hektische Bewegung, um den Vogel zu erblicken, da fand er ihn, ein paar Schritte voraus in einem Strauch entlang des Weges. Der kleine Vogel mit zitronengelbem Gefieder war leicht zu erkennen, nur am Ende der Flügel sah man wenige schwarze Federn. Das Lied brach ab, und der kleine Vogel flog hinüber über die Felswand, er eilte zurück zum Aussichtspunkt; vor lauter Verzweiflung irgendeine Information zu erspähen stieß er heftig gegen das Kamel, welches gerade dabei war aufzustehen; die Hinterbeine verloren Halt, rutschten über die Kante des Felsvorsprungs, und das Kamel fiel die steile Seite des Berges hinab. Er vernahm einen angsteinflößenden Schrei und es hörte sich äußerst schmerzvoll an, als das Kamel auf dem Boden aufschlug. Zahlreiche große Steine blockierten die Sicht auf das Kamel, das weiterhin einen rauen und erbärmlichen Schrei von Leiden, am Boden der Felsspalte, ausstieß. Er machte große Steine aus, die als Stufen zum Boden dienen konnten, und sprang hinab zu seinem Kamel. Die Sprünge von Stein zu Stein waren tiefer als gedacht und seine Füße schmerzten, dennoch erreichte er den Boden und sah aufgerissene Haut am Rücken des Kamels und mindestens schwere Prellungen.
„Oh nein, nein, nein! Was soll ich nur machen?”, schrie der junge Mann, jetzt sah und begriff er die Schwere dieses Unfalls und begann in Panik zu verfallen. „Hör schon auf zu schreien, ich sehe, wie schwer du verletzt bist. Oh, deine Verletzungen sehen entsetzlich aus, aber wir müssen versuchen dich aus der Spalte heraus und hinauf auf den Weg zu bekommen. Komm schon, ich bringe dich auf die Beine und zurück auf den Weg.” Er versuchte das Kamel anzuheben und es zurück auf seine Füße zu bringen, aber das Kamel biss seinen Arm, schmerzvoll, um ihn davon abzuhalten, es war immer noch erstarrt vom Schmerz des Aufpralls. Er sah das schreiende und blutende Kamel, wünschte sich es würde ihn verstehen und gehorchen, er verstand, mit derart hässlichen Verletzungen würde es an diesem Ort nicht überleben. Vielmehr nutzte er diese Entschuldigung, um sich selbst den Anblick des Leids und des Todeskampfes zu ersparen. Er dachte nicht mehr an das junge Kamel, er dachte nur noch daran diesen Anblick, das Schreien und den Schmerz in seinem Arm zu stoppen. Er verdrängte die weiteren Konsequenzen, die Tatsache, dass der Schmerz in seinem Arm anhalten, die Schreie weiter in seinem Kopf hallen würden, und hatte nur eines im Sinn. „Es funktioniert nicht, und du wirst es niemals aus dieser Todesfalle heraus schaffen,” ein kurzer Moment der Stille und seine Stimme verdunkelte sich angesichts der kommenden Gräueltat, „ich muss es jetzt tun.” Zwischen all der Hektik und dem Lärm waren jetzt auch noch sich nähernde , hastige,  Schritte zu hören; Eine Frau eilte zum Schauplatz, angelockt durch das traurige Hörspiel, dort fand sie das leidende Kamel und den jungen Mann mit einem Messer an der Kehle des Tieres vor.
„Wage ja nicht das arme Kamel direkt vor meinem Zuhause zu töten, weg von ihm, Dabak!”, rief sie und kam dem Kamel zu Hilfe. Sie trug eine schlichte weiße Leinen Tunika mit einem seilähnlichen Gürtel.
„Wovon sprichst du? Ich heiße nicht  Dabak und wie kommst du dazu diesen Ort ein Zuhause zu nennen, schon seit Tagen erkunde ich diese Gegend, nichts als Sand, ausgetrocknete Erde und diese lebensgefährlichen Pfade durch die Berge.” Dabaks Antwort glich schon fast einer Entschuldigung, unzufrieden mit dem grausamen Eindruck, den er der Fremden bot und akzeptierte seinen neuen Namen, immer noch unter Schock stehend.
„Ein ausgezeichneter Kundschafter bist du,” sagte sie, beruhigt durch seine Antwort und gleichermaßen besorgt, viel zu leicht ließ er sich von seinem Plan abhalten, „nicht weit von hier ist mein Zuhause. Ihr beide seid willkommen zu bleiben und euch zu erholen. Es gibt keinen Grund überstürzt zu handeln, Hilfe, mehr als ausreichend Nahrung und Wasser; dein junges Kamel wird mit ein wenig Zeit gut genesen. Hilf mir ihn vorsichtig zu meinem Zuhause zu bringen.”
„Ich habe versucht es aufzurichten, der Schmerz ist zu stark um zu laufen.” sagte Dabak, als sie an ihm vorbei lief und sich an ihren Rücken griff, von ihrem Gürtel holte sie frisches Gras hervor um das Kamel zu beruhigen. Hunger und Neugierde halfen und ließen das Kamel durch die Ablenkung etwas ruhiger werden; sie und Dabak versuchten das Kamel zu unterstützen, besonders die Beine so gut wie möglich. Während sie das Kamel aus der Felsspalte herausmanövrierten, wunderte er sich über das Verhalten des Tieres, für gewöhnlich misstraut es Fremden. Unter normalen Umständen würde es sich nicht füttern und berühren lassen, aber das Tier verhielt sich fast so, als hätte es sich schon früher an die Frau gewöhnt. Als sie einen großen Felsen passierten, sahen sie, wie sich ihre Umgebung veränderte, eine Oase mit Palmen, Büschen und hohem Gras, ein grünes Tal zwischen blankem Fels. Sobald sie bei ihrem Zuhause ankamen, sahen sie einen großen, aber schmalen, Wasserfall, getrennt in drei dünne Wasserstrahlen strömt es in einen Teich. Das kalte Wasser erzeugte eine angenehme Luftfeuchtigkeit und kühle Luft mitten in der Wüste, wie in einem Paradies und Dabak wusste diese Annehmlichkeit zu schätzen.
„Jetzt verstehe ich, wieso du diesen Ort ein Zuhause nennst, diese Oase ist wirklich ein Heim und ein Rückzugsort mitten in der Wüste.” sagte Dabak, während er die Oase bewunderte.
„Es ist wirklich ein wunderschöner Ort, mein Name ist Modi. Zuerst sollten wir Futter für dein Kamel sammeln, danach könnten wir ein kleines Fest vorbereiten.” sagte sie mit einem Lächeln und sie begannen frisches Gras und Blätter von Büschen zu sammeln. Während sie dies taten, begann er die vielfältige, aber kleine Vegetation zu erkennen. Sie fütterten das mittlerweile ruhiger gewordene Kamel und Modi brachte einen Verband an um die Blutung zu stoppen. Danach begannen sie Nahrung für sich zu sammeln.
„Die meisten dieser Pflanzen habe ich noch nie gesehen; kann man die alle essen?” fragte Dabak begeistert.
„Keine Sorge, ich kann dir alles Notwendige zeigen um die Nahrung, innerhalb dieses kleinen Tales, zuzubereiten und sicher zu essen. Direkt unter dir ist die Frucht Brinjal, die habe ich selbst hier hergebracht und ausgesät, normalerweise wächst sie an einem Ort weit weg von hier; ich schätze, du hast noch nie so eine Frucht gesehen. Wir brauchen vier von den Großen in lila,” sagte Modi und schritt in die Richtung einer Gruppe Bäume, „ein Bündel Petersilie und die gleiche Menge Minze.” Dabak sammelte die Kräuter ein und erinnerte sich an diesen Geruch.
„Diese Kräuter kenne ich,” sagte Dabak, „jedoch habe ich sie schon lange nicht mehr gerochen. Sogar Pfirsich- und Zitronenbäume erblühen in deinem Tal.”
„Weißt du, wie man Datteln erntet?” fragte Modi schmunzelnd und deutete auf eine Dattelpalme.
„Normalerweise sammle ich die Datteln vom Boden,” erwiderte Dabak, „aber ich mag den Geschmack nicht wirklich.”
„Natürlich schmecken sie ranzig, wenn du sie vom Boden sammelst, dann sind sie schon überreif;” sagte Modi amüsiert, „du musst schon auf die Dattelpalme klettern, dort oben gibt es haufenweise frische Datteln. Du kannst gleich diese Palme erklimmen, ich zeige dir von der Palme hier drüben, wie man Datteln erntet.” Modi versicherte sich, dass er sie sehen und es ihr nachtun konnte, wie sie auf die Oberseite einer leicht geneigten Dattelpalme kletterte. Sie stützte sich mit ihrem Fuß auf einem verwitterten Astknoten ab, ergriff mit ihren Händen den Stamm und drückte sich zu höher gelegenen Astknoten hinauf; er verstand und begann ihre Technik zu imitieren. Oberhalb des Buschwerks wurde das Licht deutlich weniger diffus und schattig; als sie die Fruchtbäume überragten, war es nötig die Augen zuzukneifen um sicher die Krone zu erreichen.
„Mit deinem Messer kannst du einen Zweig Datteln abtrennen.” sagte Modi und pflückte selbst junge Palmblätter. Dabak holte sein Feuersteinmesser mit hölzernem Griff  hervor um den hellorangenen Spross zu durchtrennen. Er setzte sein Werkzeug wie eine kleine Säge ein, wobei der schwere Zweig sich schneller abtrennen ließ als erwartet und er vom Gewicht zur Seite gezogen wurde, bis er seine Balance wieder gefunden hatte. „Du kannst die Datteln fallen lassen,” schlug Modi vor, „und beide Hände benutzen um herab zu klettern.” Zuvor wollte Dabak erst einmal die Umgebung von hier oben betrachten, er erkannte den Ursprung des Wasserfalls und wie Vögel vom Himmel aus in das Tal flogen. Selbst die höchsten Palmen konnten die umliegenden Felsen nicht überragen, so war die Oase geschützt vor den Augen unerwarteter Besucher. Sobald Modi genügend Blätter gepflückt hatte, ließ er den Zweig mit Datteln fallen und sie kletterten zurück zum Boden. Er hob die Datteln vom Boden auf und aß rasch von den Früchten, diese, immer noch warm von der Sonne, füllten seinen Mund mit einem süßen und fruchtigen Geschmack, ähnlich wie Honig. „Du musst wirklich Hunger haben,” sagte Modi mit schlechtem Gewissen, als sie bemerkte, wie er die Datteln hinunterschlang, und reichte ihm Pfirsiche, „iss erst einmal, danach kannst du mir helfen das Essen zuzubereiten .” Sie begaben sich zu einer Feuerstelle in der Nähe des Teiches; es sah ganz danach aus, als hätte Modi schon länger kein Feuer mehr entzündet. Sie betrat eine gut versteckte Grashütte, welche Dabak zuvor nicht bemerkt hatte, und trug getöpfertes Geschirr und einen Feuerbohrer mit Zunder zur Feuerstelle. Wie sich herausstellte, war Modi sehr erfahren im Entzünden von Feuer, sie platzierte ein hartes Brett mit einer Furche über dem Zunder und presste mit einem Druckstück den Bohrer auf das Feuerbrett. Heftig sägte sie mit dem Bogen, der durch ein Seil mit dem Bohrer verbunden war, bis Glut durch die Furche auf den Zunder fiel und eine kleine Rauchsäule erzeugte.
„Fantastisch.” sagte Dabak begeistert von ihrem schnellen Gelingen, und Modi bewegte die kleinen Flammen in einem sicheren Kissen aus trockenem Gras zum Feuerloch, um es dort vorsichtig mit kleinen Zweigen zu bedecken. Schnell ließ der Wind das Gras, ja sogar das kleine Brennholz, entfachen und erlaubte Modi sich zurückzulehnen und zufrieden dem wachsenden Feuer zuzusehen. Wenig später konnte sie die Brinjalfrüchte zubereiten; um sie zu rösten, platzierte Modi die Früchte in einer großen und flachen Schale auf dem Feuerholz. „Wie darf ich dir helfen?” fragte Dabak nachdem sein Hunger besänftigt worden war.
„Folge mir,” sagte Modi und deutete auf die Grashütte, „du könntest helfen das Getreide zu mahlen.” Sie betraten ihre Hütte, und Dabak war sichtlich überrascht eine kleine Höhle mit sehr angenehmer Temperatur vorzufinden. Die Hütte bedeckte den Eingang und siegelte die Höhle von den äußeren Temperaturen ab. Der dadurch entstandene Raum war großzügig, eine runde Form mit einem Durchmesser von neun Schritten. Die Höhle bot ausreichend Platz für drei Heubetten, eine dunkle Holzkiste, eine Ecke voller Töpfergegenstände und einen Mahlstein, direkt neben einem großen Topf Getreide. Dabak wusste, was zu tun war, und nickte; sie ging zurück zum Feuer und begann die Kräuter mit ihren Händen zu zerkleinern. Während des monotonen Mahlens schossen Gedanken und Zweifel auf ihn ein, er begann zu verstehen, wie glücklich seine prekäre Lage sich entwickelte, zu einem warmen Willkommen, zu Hilfe, einer Unterbringung, zu ausreichend Wasser und Essen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er Modi jemals seine Dankbarkeit zeigen konnte. Das Mehl häufte sich, und ab und zu konnte er sehen, wie Modi zu den Obstbäumen und zurück zum Feuer ging, die Zeit flog dahin.

„Du kannst aufhören und dich waschen, ich mahle das restliche Mehl.” sagte Modi, sobald sie erkannte, dass seine Arme bereits müde vom Mahlen waren.
„Danke.” sagte Dabak und verließ die Hütte. Seine Kleidung und seine Haut waren verstaubt; außerdem konnte er jede Menge Sand spüren, wenn er sich mit der Hand durchs Haar fuhr. Dabak watete durchs Wasser und versuchte direkt unter einen Strahl des Wasserfalls zu gelangen, dort war er schier überrascht von dem Druck des Wassers auf seinen Körper, in kürzester Zeit waren er und seine Kleidung wieder sauber. Er ging ein paar Schritte nach vorne und strich sich die Haare aus dem Gesicht und sah Modi, wie sie einen Rundofen auf das Feuer stellte. Neugierig kam er aus dem Wasser und setzte sich ans Feuer um schneller trocken zu werden. Sie hatte eine Schüssel mit dem vorbereiteten Teig und wartete, bis der Ofen aufgewärmt war. In Teiglinge aufgeteilt, rund und flach geformt, nahm sie diese in ihre Hand und klatschte den Teig gegen die Innenseite des Rundofens, der Teig blieb an der Wand hängen und begann zu backen. Nachdem sie zwei weitere Teiglinge angebracht hatte, war das erste Fladenbrot fertig gebacken, und Modi nahm es heraus; die Kruste war braun gepunktet, und der Geruch des frischen Brotes war absolut köstlich. Hinter sich konnten sie ein Rascheln im Gras hören, und der Kopf des Kamels erschien aus den Sträuchern. Es ging Richtung Wasser und begann zu trinken.
„Wie heißt er eigentlich?” fragte Modi.
„Noch hat er keinen Namen.” antwortete Dabak langsam.
„Mir gefällt Kesim, es klingt schön, was meinst du?” sagte Modi.
„Ja, mir gefällt der Klang auch. Hat Kesim eine Bedeutung?” fragte Dabak. Kesim hatte genug getrunken, lief zu ihnen ans Feuer und legte sich, zwei Schritte entfernt hinter Modi und Dabak, nieder.
„Noch hat es keine Bedeutung.” sagte Modi und schaute zu Kesim herüber. Alle hatten sich um das Feuer versammelt und das Essen war zubereitet, endlich konnte das Fest beginnen, Becher mit frischem Wasser, sich stapelndes Fladenbrot, verschiedene Früchte und die Hauptspeise eine Schale voll gerösteter Brinjal, vermengt mit Kräutern, dem Saft von Zitronen und Granatapfelsamen. Der Sonnenuntergang war nicht sichtbar innerhalb des Tals, und überraschend schnell wurde es dunkel um sie herum; sie erhoben ihre Becher.
„Danke, du hast uns mit offenen Armen willkommen geheißen, uns Hilfe, Wasser und Essen angeboten. Wenn es irgendeine Art und Weise gibt, wie ich dir meine Dankbarkeit zeigen kann, bitte einfach darum und ich werde dir aushelfen.” sagte Dabak ehrlich.
„Ich bin froh helfen zu können.” sagte Modi und trank aus ihrem Becher. Sie tunkten das Brot in das geröstete Brinjal und aßen dazu Datteln und Pfirsiche. Die Kombination des rauchigen Brinjal mit den saftigen Früchten und den honigsüßen Datteln war perfekt abgestimmt, möglicherweise das Beste, was Dabak jemals gegessen hatte. Sie aßen und waren froh, wie glimpflich der Unfall ausgegangen war. Ihre Bäuche waren gut gefüllt, und sie fühlten sich angenehm satt. „Magst du gerne Geschichten?” fragte Modi und Dabak nickte.

„Sud und Sad waren Puppen mit einem magischen Kern, einst genäht von ihrem Erzeuger. Sie konnten sich jedoch nicht an diesen erinnern, weder das Aussehen noch an die Stimme, an nichts außer einen einzigen Satz: „Schützt euren magischen Kern und enthüllt ihn niemals irgendjemandem, nicht einmal euch selbst. Die Geschwister konnten die Bedeutung nicht so ganz verstehen; manchmal versuchten sie ein hartes Objekt unter ihrer Haut aus Textil zu erfühlen, aber es gab keinerlei Anzeichen dafür. Von Zeit zu Zeit, wenn sie sich beugten oder streckten, hörten sie das Knittern von Papier, daraus konnten sie sich aber keinen Reim machen und vergaßen es sehr schnell. Sie lebten in einer Siedlung mit ein paar Menschen an einem Strand; Sud, in höchstem Maße überzeugt von seiner eigenen Stärke, machte niemals ein Geheimnis aus seinem Puppenkörper und zeigte das blanke Textil und seine Haare aus Seilen für alle sichtbar. Sad behielt den einen Satz immer im Sinn und war vorsichtig genug mit einem Puder ihre Textilhaut zu verstecken, und sie ersetzte ihre Haare aus Seil durch das lange Haar von einem Pferd. Sie trug geschlossene Schuhe und lange Kleider, da ihr Puder sich durch Bewegung an diesen Stellen löste; ja sogar ein Jasmin Parfum benutzte sie um ganz wie ein Mensch auszusehen und zu riechen. Sud und Sad lebten mit ihrer Gemeinschaft, und es entwickelten sich Freundschaften zwischen den Menschen und ihnen, während sie gemeinsam aufwuchsen. Dieser Tage verliebten sich Sud und eine junge Frau und sie gingen, fern von den Blicken der Anderen, am Strand spazieren. Als sie von einem Spaziergang zurück zu ihren Häusern kamen, wurden sie von einer Gruppe Männer überrascht, und ihre geheime Verbindung flog auf. Von Neid und Abscheu, über die ungewöhnliche Beziehung, angetrieben drückten sie Sud weg von ihr. Sie versuchte ihm zu helfen, aber durch deren Anzahl wurden sie leicht überwältigt, und die Männer fingen an Suds Haut zu zerreißen. Sud versuchte Gegenwehr zu leisten, aber seine Kraft ließ ihn im Stich; als sie seine Füllung heraus zerrten, wurde auch ein kleines Stück Papyrus sichtbar, und in diesem Moment fielen Suds Arme und sein Kopf leblos zu Boden. Die Gruppe hielt inne und wich von der aufgerissenen Puppe und der Frau zurück und ließ sie alleine. Sie trauerte über seinem Körper, weinend und fassungslos versuchte sie seine Füllung und seine Haut wieder an ihren alten Platz zu bringen; dabei fand sie ein Stück Papyrus. Sie hob Sud auf und eilte zum Haus von Sud und Sad, um seine Schwester aufzusuchen. In dem Moment, als Sad ihren leblosen Bruder und das Stück Papyrus, in den Händen der Frau sah, verstand sie die Bedeutung des Satzes; schnell gingen sie in ihr Haus. Sie verschlossen die Tür und versicherten sich, dass niemand sie sehen könne. Sad benutzte ein Messer um Suds Unterkörper abzutrennen und legte seinen Oberkörper auf einen Tisch. Nun holte sie Nadel und Faden, nähte die aufgerissene Haut an seinem Oberkörper  zusammen und platzierte sich auch auf dem Tisch. Sud und Sad lagen auf ihren Rücken; sein Kopf in Richtung eines Tischendes und ihr Kopf  in die gegenüberliegende Richtung. Sad bat die Frau sich umzudrehen, in Angst ihr Papyrus könnte erblickt werden und die magische Kraft verlieren, und zog ihr langes Kleid aus; sie entschied sich dazu ihre beiden Oberkörper, auf Höhe der Bauchnäbel, zusammenzunähen. Vorsichtig trennte sie ihren eigenen Unterkörper ab und versuchte die Füllung mit ihrem magischen Kern nicht zu beschädigen. Bevor sie Suds Oberkörper an den ihren nähte, presste Sad mehr Füllmaterial unter ihre Haut, dabei sah sie für einen winzigen Moment die Ecke eines Papyrus und bedeckte es schnell wieder. Um ihre verbundenen Bäuche herum nähte sie ihre Haut zusammen; unmittelbar nachdem der letzte Stich getan war, wachte Sud auf.”

„Ist es das Ende der Geschichte?” fragte Dabak begeistert, ungeduldig auf mehr wartend, nachdem Modi mit dem Erzählen aufgehört hatte.
„Es ist nicht das Ende von Sud und Sads Geschichte, es ist nur der Anfang.” sagte Modi müde. “Ich bin froh, dass es dir bis hierhin gefallen hat. Ich verspreche dir, die folgenden Kapitel sind noch spannender, aufregender und emotionaler. Gute Nacht, Dabak.”


Ulrich Klose, 25 Jahre
hat 2009/2010 an einem Studierenden-Austauschprojekt teilgenommen und ist seit dem im ständigen Kontakt mit Israel.