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Immobilien Unesco-Kulturerbe

Wie Deutschland hilft, Tel Avivs Weiße Stadt zu retten

Israel, Tel Aviv. The Pagoda house, a Bauhaus style building [ Rechtehinweis: picture alliance ] Israel, Tel Aviv. The Pagoda house, a Bauhaus style building [ Rechtehinweis: picture alliance ]
So sieht ein Pagodahaus im Bauhaus-Stil aus, wenn es renoviert ist
Quelle: picture-alliance / Hanan Isachar
Die im Bauhaus-Stil errichtete Siedlung in Tel Aviv hätte fast ihren Kulturerbe-Status verloren. Jetzt helfen deutsches Steuergeld und junge Architekten bei der Sanierung der blühenden Stadt.

Über Tel Avivs Weißer Stadt geht die Sonne unter. Man trinkt eisgekühlten Arak mit Mandelmilch, jemand dreht die Musik lauter, und im obersten Stock von Ronald Lauders schneeweißem, topsanierten Haus am Bialik-Platz gehen die Lichter an. Israelische und deutsche Architekten feiern mit einer Rooftop-Party die Eröffnung des White City Centers.

Der strenge weiße Wohnkubus, 1936 erbaut von Dov Karmi für den wohlhabenden Immobilienkaufmann Max Liebling und seine Frau Toni, ist nun die Schaltzentrale für ein ambitioniertes deutsch-israelisches Kulturprojekt: die Sanierung der Weißen Stadt, dem mit rund 4000 Häusern weltweit größten, im Bauhaus- und Internationalen Stil erbauten Stadtviertel.

In Lieblings Villa, die seine kinderlose Witwe der Stadt Tel Aviv vererbt hatte, werden künftig israelische Architekten und Handwerker von ihren deutschen Kollegen in Sachen Denkmalschutz-Sanierung fortgebildet, um dann gemeinsam das seit vielen Jahren vom Verfall bedrohte, 2003 von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannte Stadtviertel zu retten.

Bezug zur deutschen Geschichte

Eigentlich soll der aus Berlin eingeflogene Bau-Staatssekretär Gunther Adler erzählen, warum sein Ministerium 2,5 Millionen Euro Steuergeld in die Sanierung dieses Viertels steckt. Doch Adler möchte an diesem warmen Herbstabend zunächst lieber über sein Verhältnis zu Israel reden. Bereits lange vor seiner Flucht aus der DDR sei Israel schon sein „Sehnsuchtsland“ gewesen, erzählt der gebürtige Leipziger.

Er stamme aus einer christlichen Familie, die sich gegen das propagierte DDR-Feindbild von Israel gestellt habe und sich, anders als das ostdeutsche Regime, immer schon mitverantwortlich gefühlt habe für die Verbrechen der Deutschen an den Juden in der Nazizeit. Eine seiner ersten Auslandsreisen hätte ihn daher nach Israel geführt, das ihn seitdem fasziniere wie kein anderes Land, sagt der SPD-Politiker.

So ist ihm die Weiße Stadt ein besonderes Anliegen. Der Ortsteil hat auch einen Bezug zur deutschen Geschichte. In den 1930er-Jahren sahen sich einige deutschstämmige jüdische Architekten dazu gezwungen, das Land zu verlassen.

Keine gewachsene Kultur, historische Gebäude zu erhalten

Neben anderen jüdischen Flüchtlingen aus ganz Europa fanden sie in der jungen Siedlung Tel Aviv eine neue Heimat und drückten dem neuen Stadtteil ihren Stempel auf. So entstand die große Schwester der ebenfalls „Weiße Stadt“ genannten Bauhaus-Siedlung im Berliner Bezirk Reinickendorf.

Adler sagt, er sei sehr froh, dem Projekt die Hilfsgelder über den verhältnismäßig langen Zeitraum von zehn Jahren zusichern zu können. Das rettende Angebot der Bundesregierung kam offenbar um fünf vor zwölf, denn die Unesco drohte schon mit dem Entzug des Kulturerbe-Status, da die Sanierung nur schleppend vorankam.

Ein Bauhaus in Tel Aviv
Ein Bauhaus nahe des Rotschild Boulevards. Zwei Drittel der rund 4000 Bauhäuser in Tel Aviv sind renovierungsbedürftig
Quelle: picture alliance / Stefanie Järk

Anders als in Deutschland gibt es in Israel, das seit seiner Staatsgründung 1948 um sein Überleben kämpfen muss, keine gewachsene Kultur, historische Gebäude zu erhalten – und bis vor Kurzem auch kein staatliches Geld oder Steuervergünstigungen für sanierungswillige Hausbesitzer.

Pragmatische, bauhistorisch aber fragwürdige Lösung

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Zu besichtigen sind die Folgen dieser Ignoranz nicht nur an den vielen heruntergekommenen Fassaden, die über die Jahrzehnte gelitten haben unter der aggressiven Meeresluft, Autoabgasen und den immer wieder vorkommenden Erdstößen der geologisch fragilen Region, sondern auch unter den An- und Umbauwünschen der ausschließlich pragmatisch denkenden Wohnungsbesitzer.

Dass in der Weißen Stadt trotzdem bereits mehr als 30 Prozent der rund 1000 unter Denkmalschutz stehenden Gebäude saniert sind, ist wohl auch der Tatsache zu verdanken, dass ihre Besitzer, quasi als Gegenleistung für deren Sanierungsanstrengungen, seit einiger Zeit ihre Gebäude um zweieinhalb Geschosse aufstocken dürfen. Eine pragmatische, wenn auch ästhetisch und bauhistorisch fragwürdige Lösung, wie man beim Gang durch die Weiße Stadt feststellen kann.

Seltsam „aufgeblasen“ und überdimensioniert wirken die ursprünglich als ein- oder zweigeschossige, in den 1920er und 30er-Jahren im Stil der Moderne gebauten freistehenden Einfamilienhäuser, oftmals erbaut von jungen aus Europa geflüchteten jüdischen Architekten, die an den Universitäten ihrer Heimatstädte von der Bauhaus-Idee geprägt waren.

Elfteuerste Stadt der Welt

Viele der neuen Besitzer haben sich offenbar nicht einmal die Mühe gemacht, die Aufstockung material- und farbgerecht anzugleichen, sodass die aufgestockten Etagen keine rechte Einheit mit dem Original mehr bilden wollen. Zumindest wirtschaftlich mag sich der auf diese Weise hinzugewonnene Wohnraum für seine Besitzer gelohnt haben.

Schließlich ist das prosperierende Tel Aviv nicht nur eine der weltweit am schnellsten wachsenden Städte, deren Bewohner unter akutem Wohnungsmangel leiden, sondern auch dank ihrer explodierenden Immobilienpreise die elftteuerste Stadt der Welt.

Tel Aviv
So sehen Tel Aviver Bauhaus-Gebäude aus, wenn sie saniert sind
Quelle: Michael Luongo/Bloomberg

Daher mögen dann auch junge wohnungssuchende Familien nur müde lächeln über die aufgeregt geführten Gentrifizierungs-Debatten in deutschen Großstädten. „Junge Familien, die zur Miete wohnen, gibt es hier kaum noch. Nur Leute, die sich vor mehr als 15 Jahren eine Eigentumswohnung gekauft haben, können überhaupt noch in der Weißen Stadt leben“, sagt Ingrid Velleine.

Mieterschutz funktioniert nicht

Die promovierte Linguistin hat viele Jahre als alleinerziehende Mutter mit ihren beiden Kindern in verschiedenen Wohnungen der Weißen Stadt zur Miete gewohnt. Immer wieder musste sie aufgrund von Mieterhöhungen umziehen. „Irgendwann konnte ich die ständigen Miterhöhungen nicht mehr bezahlen und bin nach Herzlyia, einem Ort nördlich von Tel Aviv, gezogen“, sagt die Mitarbeiterin eines IT-Unternehmens.

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Aber es muss doch einen Mieterschutz geben? Theoretisch gebe es den zwar, sagt die Wissenschaftlerin, aber das Gesetz stamme noch aus der Zeit des britischen Mandats. Und in jedem herkömmlichen Mietvertrag gebe es eine Klausel, in der der Mieter sich damit einverstanden erklären muss, auf die Anwendung dieses Gesetzes zu verzichten. Außerdem würden Mietverträge immer nur für ein Jahr abgeschlossen, mit einem Recht auf Verlängerung für ein weiteres Jahr.

Danach dürfe der Vermieter die Miete wieder erhöhen. Erst in den vergangenen zehn Jahren und nach heftigen wochenlangen Demonstrationen junger Leute gegen die Wohnungsnot und überhöhte Mieten würde überhaupt erst darüber geredet, dass sich an dieser Situation etwas ändern müsse, sagt Ingrid Velleine.

Viele Nachbarn wurden vertrieben

Dass sich für sie nichts ändert, hofft hingegen die Bewohnerin einer Erdgeschosswohnung eines Mehrfamilienhauses im Internationalen Stil in der Mazeh Street, einer Seitenstraße des schicken Rothschild-Boulevards mit seinen aufwendig sanierten Bauhaus- Villen. Sie sei in der glücklichen Lage gewesen, sich vom ererbten Geld ihres Vaters vor 13 Jahren eine 90 Quadratmeter große Eigentumswohnung kaufen zu können, berichtet die Mutter zweier erwachsener Kinder, die namentlich nicht genannt werden möchte.

Dass der Vorbesitzer den großzügigen Balkon teilweise zugemauert habe, um ein weiteres Zimmer zu gewinnen, störe sie nicht besonders. „Ich bin nur heilfroh, dass mich niemand mehr aus diesem schönen Viertel vertreiben kann, wie es so vielen Nachbarn, die zur Miete gewohnt haben, passiert ist“, sagt sie.

Sie freue sich über das von Deutschland unterstützte Denkmalschutzprogramm. Auch ihr Haus sei dringend renovierungsbedürftig. Nicht nur die Fassade müsste neu gestrichen werden, auch die Rohrleitungen müssten dringend erneuert werden, weil die Wurzeln der großen, alten Bäume im Garten auf die Rohre drückten.

Um genügend Geld für die Instandhaltung ihrer Wohnung zur Verfügung zu haben, hätte sie nach dem Auszug der Kinder ein Drittel der Wohnung abgetrennt und an eine Dame untervermietet.

Wie begehrt ihre alte unsanierte Wohnung sei, sei ihr erst vor Kurzem aufgefallen, als sie gehört habe, dass man ihr dafür wohl umgerechnet 750.000 Euro zahlen würde. „Gekauft habe ich sie für 125.000 Euro.“

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