Empörung über Beitrag zur Wasserknappheit in Palästinenser-Städten: Was die ARD uns verschwiegen hat 

Von: Antje Schippmann

Ein Beitrag aus dem ARD-Büro in Tel Aviv sorgte für große Aufregung im Netz: Hat der öffentlich-rechtliche Sender palästinensische Propaganda-Lügen verbreitet? In dem Beitrag des Korrespondenten Markus Rosch soll vieles tendenziös sein und nicht den Fakten entsprechen, so der Vorwurf.

Rosch hatte einen Beitrag zum Thema Wassermangel im Westjordanland gedreht, der in den „Tagesthemen“ und (in gekürzter Version) in der „Tagesschau“ am Sonntagabend gezeigt wurde.

Tenor: Es gibt kaum Wasser und Israel ist schuld.

Befragt werden im Beitrag eine palästinensische Familie und ein deutscher Hydrologe, der ebenfalls in der Westbank ansässig ist und eine klare politische Haltung vertritt. Keine unabhängigen Experten, keine israelische Stimme.

Gerade bei einer Thematik, die seit vielen Jahren als komplex und konfliktbeladen bekannt ist, verwunderte die simple und einseitige Herangehensweise viele Zuschauer.

Das erzählte der Beitrag

Schon in der Anmoderation ist die Stoßrichtung des Wasser-Beitrags klar: „Die Resource ist knapp und wird von den Israelis streng rationiert“, so „Tagesschau“-Moderator Jan Hofer. Israel habe es in der Hand, wie viel Wasser fließt, moderiert seine „Tagesthemen“-Kollegin Pinar Atalay den Beitrag an.

Die Reporter selbst berichten aus der Stadt Salfit im Westjordanland, sie sind bei der siebenköpfigen Familie Osman zu Gast, die höchstens 100 Liter am Tag bekommen würde – wenn der Wasserlaster der Stadtverwaltung denn kommt und die Tanks auffüllt, was nicht immer klappe.

Die Kinder könnten sich nicht waschen, die Waschmaschine läuft nicht und aus der Leitung rinnt nur ein müder Tropfen. „Wir brauchen Wasser zum Leben, jetzt gibt es keines mehr. Wie lange soll das noch weitergehen?“, fragt der Vater verzweifelt in die Kamera.

Der Hydrogeologe Clemens Messerschmid, der selbst im Westjordanland lebt, behauptet, dass die Westbank eigentlich wasserreich sei, doch Israel keine Genehmigungen verteile, um Brunnen zu bohren. „Das Militär sagt einfach Nein“, so der vermeintliche Experte.

Und dafür gebe es keinerlei technische Gründe – die Israelis würden Anspruch erheben auf das gesamte Wasser der Westbank, meint er. „Machtspiele“ der Israelis, so die Einschätzung des deutschen Reporters.

Palästinensische Dörfer würden bei der Verteilpolitik der Israelis „oft leer ausgehen“, hätten jedes Jahr im Sommer kaum Wasser.

Messerschmid hatte 2013 auch der islamistischen Plattform „MuslimMarkt“ ein Interview zu dem Thema gegeben. Der „MuslimMarkt“, der bereits vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, habe „antizionistische und antiisraelische Propaganda“ verbreitet, so die Verfassungsschützer. Der Betreiber Yavuz Özoguz wurde wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Das hat der Beitrag ausgelassen

Zuständig hier wäre eigentlich die palästinensische Seite, sagt Haim Gvirtzmann zu BILD. Er ist Professor der Hydrologie am Institut für Geowissenschaften an der Hebrew University und war Mitglied im Council der israelischen Wasserbehörde, zudem langjähriger Berater des gemeinsamen israelisch-palästinensischen Wasser-Komitees (JWC). 

Ein Komitee, das für die Wasserpolitik seit den Oslo-Verträgen zuständig sein sollte und seit fünf Jahren nicht mehr tagen konnte – weil sich die palästinensische Seite weigere, so die „Jerusalem Post“. 

Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) habe Israel deshalb in vielen Fällen keine Genehmigung zur Erneuerung der Infrastruktur erteilt (trotz des Stillstands des JWC arbeite die Wasserbehörde mit der PA an mehreren Infrastrukturprojekten, teilte sie auf BILD-Anfrage mit.) 

Folge: Engpässe bei der Versorgung, insbesondere weil die Infrastruktur durch massiven Wasserdiebstahl zerstört werde.

Besonders betroffen: Die Hotse Shomron Wasserleitung, die Salfit (wo die ARD gedreht hat) und die umliegenden Dörfer mit Wasser aus Israel versorgt.

Die jüdischen Siedlungen, die laut ARD keinen Mangel erleiden würden, seien übrigens genauso davon betroffen, zitiert die Zeitung einen Vertreter der israelischen Koordinierungsbehörde COGAT.  

„Laut dem Wasserabkommen von 1995 ist die Palästinensische Autonomiebehörde für die Wasserversorgung in der Westbank zuständig. Im Falle von kaputten Leitungsrohren und ähnlichem ist es in ihrer Verantwortung, diese zu reparieren“, sagt Uri Schor, Sprecher der israelischen Wasserbehörde zu BILD.

Weitere Brunnen würden nicht gebohrt werden, weil es laut Oslo-Verträgen genau vereinbarte Orte (und Anzahl) für Brunnen gebe. „Man kann aus dem Grundwasser nicht mehr Wasser rauspumpen als natürlich jedes Jahr nachfließt, wir müssen die Quelle nachhaltig managen.“ 

Warum wurde die israelische Seite von der ARD nicht gefragt?

Das sei eine Zeitfrage gewesen, man habe der Schnelligkeit den Vorzug gegeben, was man nun bedauere, erklärten Markus Rosch und Studioleiterin Susanne Glass auf ihrem Blog.

Ein Wasser-Krieg der Palästinenser

„Die deutschen Medien berichten in dieser Frage zu oft tendenziös“, sagt Prof. Gvirtzmann weiter. Für das Begin-Sadat-Center hat er schon 2012 eine umfassende Studie zu dem Wasserkonflikt geschrieben.

Er spricht von einem „Wasserkrieg“, den die Palästinenser mit gezielter Fehlinformation führen würden. Sie seien weniger an einer Lösung ihres Wasserproblems als an der Rufschädigung Israels interessiert, würden sich deshalb nicht um pragmatische Lösungen, Techniken oder Reparaturen kümmern und stattdessen nur Israel die Schuld geben.  

Prominente Beispiele zuletzt:

► Die Rede von Mahmud Abbas vor dem Europäischen Parlament Ende Juni, in der er behauptete, dass jüdische Rabbiner zur Brunnenvergiftung aufriefen – frei erfunden, wie er einen Tag darauf zugestand.

► EU-Präsident Martin Schulz, der 2014 vor dem israelischen Parlament behauptete, die Palästinenser würden nur 17 Liter Wasser pro Tag bekommen, während die Israelis 70 Liter hätten. Das hatte ihm einige Tage zuvor jemand in Ramallah erzählt und Schulz gab es ungeprüft weiter.

Doch tatsächlich versorgt Israel das Westjordanland laut COGAT mit jährlich etwa 64 Millionen Kubikmetern Wasser – das sind 33 Millionen mehr als in den Oslo-Verträgen vorgesehen. Insgesamt verfüge die palästinensische Seite über etwa 110 Millionen Kubikmeter pro Jahr für Haushalte, darüberhinaus mehr als 100 weitere Millionen für Landwirtschaft, sagte die israelische Wasserbehörde auf BILD-Anfrage. Insgesamt 143 Liter pro Kopf pro Tag. Dass durch Misswirtschaft und kaputte Leitungen höchstens 80 Prozent davon bei den Menschen ankommen, liege jedoch in der Verantwortung der Palästinensischen Behörden.  

Hinzu kommt: Israel bezuschusst die Wasserversorgung der Palästinensischen Autonomiegebiete mit 18,9 Millionen US-Dollar jährlich, so eine Übersicht des israelischen Außenministeriums (2013). Und zwar auch aus der Tasche der israelischen Wasserverbraucher, die zehn Schekel (2 Euro) pro Kubikmeter zahlen, wovon 0,2 Schekel in die Subventionierung der palästinensischen Wasserversorgung fließen.

Israelis brachten Wasserversorgung voran

Diese sieben Fakten müssten in jeder Debatte über die Wasserversorgung der Palästinenser berücksichtigt werden.

1. 1995 wurde das Interimsabkommen zwischen Israel und den Palästinensern geschlossen, auf dem die gemeinsame Wasserpolitik beruht. Demnach stehen den Palästinensern 196 Millionen Kubikmeter Frischwasser pro Jahr aus dem geteilten Grundwasser-Reservoir, dem Bergaquifer, zu, hinzukommen 64 Millionen Kubikmeter aus Israel. Laut Abkommen wurden 40 Stellen in den Bergen um Hebron festgelegt, an denen in das Grundwasser gebohrt werden darf.

Doch laut einer weiteren Abhandlung von Prof. Gvirtzmann haben die Palästinenser in den vergangenen 20 Jahren erst ein Drittel dieser Stellen angezapft, obwohl ihnen sogar internationale Fördergelder dafür zustehen. Stattdessen haben sie in dem Teil des Reservoirs gebohrt, der das Grundwasser für Israel liefert. Würden sie stattdessen in dem ihnen zugeteilten östlichen Teil die 40 abgemachten Stellen anbohren, könnte ihnen das weitere 50 Millionen Kubikmeter Wasser bringen.

2. Die palästinensischen Behörden reparieren die löchrigen Wasserleitungen nicht. Bis zu 33 Prozent der Wasserversorgung würden so verloren gehen. (Verlust in Israel: 10 Prozent). Selbst wenn sie nur die Hauptleitungen reparierten, könnte ihnen das schon 10 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr mehr einbringen.

3. Trotz Verpflichtung im Osloer Abkommen (und zugesicherten Hilfsgeldern) bauen die Palästinenser keine Kläranlagen. Abwasser fließt direkt in kleine Flüsse, verschmutzt die Umwelt und das Grundwasser. Erst in den vergangenen Jahren konnte Israel die Palästinenser zu ersten Schritten bewegen. Würden sie allein ihr städtisches Abwasser klären, brächte ihnen das weitere 30 Millionen Kubikmeter pro Jahr ein, die sie für den Ausbau ihrer Landwirtschaft nutzen könnten.

4. Die Palästinenser weigern sich jedoch bisher, ihre Felder mit geklärtem Wasser zu beackern. Das Angebot Israels, recyceltes Wasser für die Landwirtschaft zu liefern, lehnten die Palästinensische Behörden aus politischen Gründen ab. Stattdessen wird Frischwasser verwendet, wodurch weniger Wasser für die Haushalte zur Verfügung steht.

5. Durch zeitgemäße landwirtschaftliche Bewässerungsmethoden könnten palästinensische Bauern um die Hälfte weniger Wasser verbrauchen. Viele Bauern würden ihre Felder fluten, statt Tröpfchentechnik zu verwenden. Mit Tröpfchentechnik würden sie 10 Millionen Kubikmeter sparen. Nichtsdestotrotz ist die palästinensische Landwirtschaft sowohl qualitativ als auch quantitativ so hochwertig wie nie zuvor, so die Wasserbehörde. 

 6. Die historische Einordnung der Wasserversorgung ist in dieser Region wichtig zum Verständnis der Dimensionen: Die Westbank ist seit Jahrhunderten besetzt, erst von den Osmanen, dann von den Briten und seit dem Sechs-Tage-Krieg von Israel. 

Aber erst unter der israelischen Besatzung – die laut den Befragten im ARD-Beitrag an allem Schuld sei – wurden fast alle Haushalte an die Wasserversorgung angeschlossen: Allein in den ersten fünf Jahren der Besatzung erhöhte sich die Wasserversorgung um 50 Prozent, schreibt Gvirtzmann. Laut der Wasserbehörde waren 1967 nur zehn Prozent der palästinensischen Haushalte an die Wasserversorgung angeschlossen. Bis 2010 waren es 96 Prozent. Ein extrem hoher Wert in der Region. 

 7. Der Staat Israel ist aus der Knappheit heraus zu einer Supermacht in puncto Technologien für Wasseraufbereitung, Wasserversorgung geworden. „In der Konsequenz genießen die Palästinenser vergleichsweise einen Garten Eden. Nur in Israel, der Westbank und in den Golfstaaten gibt es ausreichend, sicheres und trinkbares Leitungswasser in 96 Prozent der Haushalte. Die Bewohner in fast allen Ländern der Region leiden unter schlimmem Wassermangel“, schreibt Gvirtzmann. 

Der Nil beispielsweise liefere 30 Mal mehr Wasser als Israels jährlicher Bedarf, doch die Bevölkerung Ägyptens ist nur 10 Mal größer. Trotzdem gibt es keinen Überschuss, sondern immer wieder Leid durch Hunger und Durst, weil Wasser in großen Mengen verschwendet werde. Das gleiche gelte für Syrien, Irak oder Jordanien. Auch die Verschmutzung von Flüssen, fehlerhaftes Abwassermanagement führe zu Wassernot in der Region.

Israel hingegen hat die Jahre der Dürre durch Technologie überwunden und ist jetzt sogar Wasserexporteur.

Da die gesamte Region unter Wasserknappheit leidet, müssen beide Seiten ihren Anteil leisten und durch Entsalzung und Abwasser-Recycling mehr Wasser hinzufügen, sagt auch Uri Schor von der Wasserbehörde. Mit den technologischen Möglichkeiten sei das schließlich kein Problem mehr.

„Sobald diese Thematik in einer strikt professionellen Art angegangen wird und nicht mehr als politische Waffe gegen Israel, können wir eine produktive Lösung finden“, so der Sprecher der Wasserbehörde zu BILD. 

Steckt nur ein Rohrbruch dahinter?

Der langjährige Nahost-Korrespondent Ulrich Sahm kommentierte in einem Beitrag, dass es vor zwei Wochen einen Rohrbruch in der Gegend um Salfit gegeben habe, die Bilder des Wassermangels also daher rühren könnten. Diese Meldung verbreitete sich schnell in den sozialen Medien.

Der Bayrischen Rundfunk, der für das Studio in Tel Aviv zuständig ist, erklärte auf seinem Blog dazu, dass diese Behauptung falsch sei. „Als wir gedreht haben, galt der Rohrbruch als repariert.“

Auf BILD-Nachfrage beim Bayrischen Rundfunk erklärte der verantwortliche Redakteur Markus Rosch, dass es keinen Wasserrohrbruch gegeben habe, sondern ein technisches Problem an einer Wasserquelle.

In einer Antwort darauf verweist Ulrich Sahm auf einen Beitrag der koordinierenden Regierungsbehörde Israels in den palästinensischen Gebieten (COGAT), demzufolge es der massive Wasserdiebstahl war, der zu Zerstörung und damit Engpässen in der gesamten Region geführt habe. 

Scharfe Kritik an dem Beitrag

Seit der Ausstrahlung des Beitrag reißt die Kritik nicht ab: 

► Die Bundestagsabgeordnete Michaela Engelmeier (SPD) kommentierte empört bei Facebook unter dem Beitrag der ARD: „Warum zeigt man in der Tagesschau einen schlecht bis gar nicht recherchierten Bericht, zitiert dort mehr als zweifelhafte ‚Experten‘ und erzählt echte Unwahrheiten?“ Der Beitrag sei ein Fall für den Rundfunkrat und sie erwarte eine Richtigstellung, so die SPD-Politikerin weiter.

Die israelische Botschaft in Berlin kritisierte den Bericht und warnte, dass solche falschen Darstellungen brandgefährlich seien.

„Wir schätzen und respektieren die Berichterstattung der Tagesthemen. Gerade deshalb waren wir verwundert, dass in diesem konkreten Beitrag das komplexe Thema der Wasserversorgung derart einseitig und mit falschen Anschuldigungen gegenüber Israel dargestellt wurde und auf eine Wiedergabe der israelischen Position komplett verzichtet wurde“, sagt Avraham Nir-Feldklein, Gesandter des Staates Israel in Deutschland, zu BILD.

Die Wasserpolitik in den Palästinensischen Gebieten werde regelmäßig irreführend dargestellt, um dem Ruf Israels zu schaden, so der Gesandte weiter.

Nir-Feldklein erinnert an den Auftritt von Abbas vor dem Europäischen Parlament. Für dessen Behauptung, dass israelische Rabbis zur Vergiftung von Brunnen in den palästinensischen Gebieten aufgerufen hatten, applaudierten die Parlamentarier, es gab Standing Ovations. Einen Tag später musste Abbas einräumen, dass es diesen vermeintlichen Aufruf der Rabbiner gar nicht gegeben hatte. Eine Lüge, die gefährliche Auswirkungen hat.

Nir-Feldklein: „Solche falschen Aussagen werden auch dazu benutzt, um zu Gewalt gegen Israelis und Juden aufzurufen.“

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